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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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hafter als die poetischen; denn es läßt sich
bemerken, daß Knaben, denen ja doch alles
zum Scherze dienen muß, sich am Schall
der Worte, am Fall der Sylben ergetzen,
und durch eine Art von parodistischem Muth¬
willen den tiefen Gehalt des edelsten Werks
zerstören. Deshalb gebe ich zu bedenken, ob
nicht zunächst eine prosaische Uebersetzung des
Homer zu unternehmen wäre; aber freylich
müßte sie der Stufe würdig seyn, auf der
sich die deutsche Literatur gegenwärtig befindet.
Ich überlasse dieß und das Vorgesagte un¬
sern würdigen Pädagogen zur Betrachtung,
denen ausgebreitete Erfahrung hierüber am
besten zu Gebote steht. Nur will ich noch,
zu Gunsten meines Vorschlags, an Luthers
Bibelübersetzung erinnern: denn daß dieser
treffliche Mann ein in dem verschiedensten
Stile verfaßtes Werk und dessen dichterischen,
geschichtlichen, gebietenden, lehrenden Ton uns
in der Muttersprache, wie aus einem Gusse
überlieferte, hat die Religion mehr gefördert,

hafter als die poetiſchen; denn es laͤßt ſich
bemerken, daß Knaben, denen ja doch alles
zum Scherze dienen muß, ſich am Schall
der Worte, am Fall der Sylben ergetzen,
und durch eine Art von parodiſtiſchem Muth¬
willen den tiefen Gehalt des edelſten Werks
zerſtoͤren. Deshalb gebe ich zu bedenken, ob
nicht zunaͤchſt eine proſaiſche Ueberſetzung des
Homer zu unternehmen waͤre; aber freylich
muͤßte ſie der Stufe wuͤrdig ſeyn, auf der
ſich die deutſche Literatur gegenwaͤrtig befindet.
Ich uͤberlaſſe dieß und das Vorgeſagte un¬
ſern wuͤrdigen Paͤdagogen zur Betrachtung,
denen ausgebreitete Erfahrung hieruͤber am
beſten zu Gebote ſteht. Nur will ich noch,
zu Gunſten meines Vorſchlags, an Luthers
Bibeluͤberſetzung erinnern: denn daß dieſer
treffliche Mann ein in dem verſchiedenſten
Stile verfaßtes Werk und deſſen dichteriſchen,
geſchichtlichen, gebietenden, lehrenden Ton uns
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[112/0120] hafter als die poetiſchen; denn es laͤßt ſich bemerken, daß Knaben, denen ja doch alles zum Scherze dienen muß, ſich am Schall der Worte, am Fall der Sylben ergetzen, und durch eine Art von parodiſtiſchem Muth¬ willen den tiefen Gehalt des edelſten Werks zerſtoͤren. Deshalb gebe ich zu bedenken, ob nicht zunaͤchſt eine proſaiſche Ueberſetzung des Homer zu unternehmen waͤre; aber freylich muͤßte ſie der Stufe wuͤrdig ſeyn, auf der ſich die deutſche Literatur gegenwaͤrtig befindet. Ich uͤberlaſſe dieß und das Vorgeſagte un¬ ſern wuͤrdigen Paͤdagogen zur Betrachtung, denen ausgebreitete Erfahrung hieruͤber am beſten zu Gebote ſteht. Nur will ich noch, zu Gunſten meines Vorſchlags, an Luthers Bibeluͤberſetzung erinnern: denn daß dieſer treffliche Mann ein in dem verſchiedenſten Stile verfaßtes Werk und deſſen dichteriſchen, geſchichtlichen, gebietenden, lehrenden Ton uns in der Mutterſprache, wie aus einem Guſſe uͤberlieferte, hat die Religion mehr gefoͤrdert,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/120>, abgerufen am 27.11.2024.