nicht gegen mich kehren werde. Wie er sich nun, durch diesen sittlich unruhigen Geist, durch dieses Bedürfniß, die Menschen hämisch und tückisch zu behandeln, von einer Seite das gesellige Leben verdarb, so widersprach eine andere Unruhe, die er auch recht sorg¬ fältig in sich nährte, seinem innern Behagen. Er fühlte nämlich einen gewissen dilettantischen Productionstrieb, dem er um so mehr nach¬ hing, als er sich in Prosa und Versen leicht und glücklich ausdrückte, und unter den schö¬ nen Geistern jener Zeit eine Rolle zu spielen gar wohl wagen durfte. Ich besitze selbst noch poetische Episteln von ungemeiner Kühn¬ heit, Derbheit und Swistischer Galle, die sich durch originelle Ansichten der Personen und Sachen höchlich auszeichnen, aber zugleich mit so verletzender Kraft geschrieben sind, daß ich sie nicht einmal gegenwärtig publiciren möchte, sondern sie entweder vertilgen, oder als auffallende Documente des geheimen Zwie¬ spalts in unserer Literatur der Nachwelt auf¬
III. 10
nicht gegen mich kehren werde. Wie er ſich nun, durch dieſen ſittlich unruhigen Geiſt, durch dieſes Beduͤrfniß, die Menſchen haͤmiſch und tuͤckiſch zu behandeln, von einer Seite das geſellige Leben verdarb, ſo widerſprach eine andere Unruhe, die er auch recht ſorg¬ faͤltig in ſich naͤhrte, ſeinem innern Behagen. Er fuͤhlte naͤmlich einen gewiſſen dilettantiſchen Productionstrieb, dem er um ſo mehr nach¬ hing, als er ſich in Proſa und Verſen leicht und gluͤcklich ausdruͤckte, und unter den ſchoͤ¬ nen Geiſtern jener Zeit eine Rolle zu ſpielen gar wohl wagen durfte. Ich beſitze ſelbſt noch poetiſche Epiſteln von ungemeiner Kuͤhn¬ heit, Derbheit und Swiſtiſcher Galle, die ſich durch originelle Anſichten der Perſonen und Sachen hoͤchlich auszeichnen, aber zugleich mit ſo verletzender Kraft geſchrieben ſind, daß ich ſie nicht einmal gegenwaͤrtig publiciren moͤchte, ſondern ſie entweder vertilgen, oder als auffallende Documente des geheimen Zwie¬ ſpalts in unſerer Literatur der Nachwelt auf¬
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nicht gegen mich kehren werde. Wie er ſich
nun, durch dieſen ſittlich unruhigen Geiſt,
durch dieſes Beduͤrfniß, die Menſchen haͤmiſch
und tuͤckiſch zu behandeln, von einer Seite
das geſellige Leben verdarb, ſo widerſprach
eine andere Unruhe, die er auch recht ſorg¬
faͤltig in ſich naͤhrte, ſeinem innern Behagen.
Er fuͤhlte naͤmlich einen gewiſſen dilettantiſchen
Productionstrieb, dem er um ſo mehr nach¬
hing, als er ſich in Proſa und Verſen leicht
und gluͤcklich ausdruͤckte, und unter den ſchoͤ¬
nen Geiſtern jener Zeit eine Rolle zu ſpielen
gar wohl wagen durfte. Ich beſitze ſelbſt
noch poetiſche Epiſteln von ungemeiner Kuͤhn¬
heit, Derbheit und Swiſtiſcher Galle, die
ſich durch originelle Anſichten der Perſonen
und Sachen hoͤchlich auszeichnen, aber zugleich
mit ſo verletzender Kraft geſchrieben ſind, daß
ich ſie nicht einmal gegenwaͤrtig publiciren
moͤchte, ſondern ſie entweder vertilgen, oder
als auffallende Documente des geheimen Zwie¬
ſpalts in unſerer Literatur der Nachwelt auf¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/153>, abgerufen am 23.11.2024.
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