schäftes, und seiner immer wachsenden Hin¬ dernisse, die Entdeckung neuer Gebrechen klang stündlich durch. Hier war nun abermals das heilige römische Reich versammelt, nicht bloß zu äußerlichen Feyerlichkeiten, sondern zu ei¬ nem ins Allertiefste greifenden Geschäfte. Aber auch hier mußte mir jener halbleere Speise¬ saal am Krönungstage einfallen, wo die ge¬ ladenen Gäste außen blieben, weil sie zu vor¬ nehm waren. Hier hatten sie sich zwar ein¬ gefunden, aber man mußte noch schlimmere Symptome gewahr werden. Der Unzusam¬ menhalt des Ganzen, das Widerspiel der Thei¬ le kamen fortwährend zum Vorschein, und es war kein Geheimniß geblieben, daß Fürsten unter einander sich die Absicht vertraulich mit¬ getheilt hatten: man müsse sehn, ob man nicht, bey dieser Gelegenheit, dem Oberhaupt etwas abgewinnen könne?
Welchen üblen Eindruck das kleine Detail aller Anecdoten von Nachlässigkeiten und Ver¬
ſchaͤftes, und ſeiner immer wachſenden Hin¬ derniſſe, die Entdeckung neuer Gebrechen klang ſtuͤndlich durch. Hier war nun abermals das heilige roͤmiſche Reich verſammelt, nicht bloß zu aͤußerlichen Feyerlichkeiten, ſondern zu ei¬ nem ins Allertiefſte greifenden Geſchaͤfte. Aber auch hier mußte mir jener halbleere Speiſe¬ ſaal am Kroͤnungstage einfallen, wo die ge¬ ladenen Gaͤſte außen blieben, weil ſie zu vor¬ nehm waren. Hier hatten ſie ſich zwar ein¬ gefunden, aber man mußte noch ſchlimmere Symptome gewahr werden. Der Unzuſam¬ menhalt des Ganzen, das Widerſpiel der Thei¬ le kamen fortwaͤhrend zum Vorſchein, und es war kein Geheimniß geblieben, daß Fuͤrſten unter einander ſich die Abſicht vertraulich mit¬ getheilt hatten: man muͤſſe ſehn, ob man nicht, bey dieſer Gelegenheit, dem Oberhaupt etwas abgewinnen koͤnne?
Welchen uͤblen Eindruck das kleine Detail aller Anecdoten von Nachlaͤſſigkeiten und Ver¬
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ſchaͤftes, und ſeiner immer wachſenden Hin¬
derniſſe, die Entdeckung neuer Gebrechen klang
ſtuͤndlich durch. Hier war nun abermals das
heilige roͤmiſche Reich verſammelt, nicht bloß
zu aͤußerlichen Feyerlichkeiten, ſondern zu ei¬
nem ins Allertiefſte greifenden Geſchaͤfte. Aber
auch hier mußte mir jener halbleere Speiſe¬
ſaal am Kroͤnungstage einfallen, wo die ge¬
ladenen Gaͤſte außen blieben, weil ſie zu vor¬
nehm waren. Hier hatten ſie ſich zwar ein¬
gefunden, aber man mußte noch ſchlimmere
Symptome gewahr werden. Der Unzuſam¬
menhalt des Ganzen, das Widerſpiel der Thei¬
le kamen fortwaͤhrend zum Vorſchein, und es
war kein Geheimniß geblieben, daß Fuͤrſten
unter einander ſich die Abſicht vertraulich mit¬
getheilt hatten: man muͤſſe ſehn, ob man
nicht, bey dieſer Gelegenheit, dem Oberhaupt
etwas abgewinnen koͤnne?
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/231>, abgerufen am 23.11.2024.
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