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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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was mir begegnete, brieflich mit ihr unter¬
hielt, ihr jedes kleine Gedicht, wenn es auch
nur ein Ausrufungszeichen gewesen wäre, so¬
gleich mittheilte, und ihr zunächst alle Briefe
die ich erhielt, und alle Antworten die ich
darauf ertheilte, sehen ließ. Alle diese lebhaf¬
te Regung hatte seit meiner Abreise von Frank¬
furt gestockt, mein Aufenthalt zu Wetzlar war
zu einer solchen Unterhaltung nicht ausgiebig
genug, und dann mochte die Neigung zu Lot¬
ten den Aufmerksamkeiten gegen meine Schwe¬
ster Eintrag thun; genug, sie fühlte sich al¬
lein, vielleicht vernachlässigt, und gab um so
eher den redlichen Bemühungen eines Ehren¬
manns Gehör, welcher ernst und verschlossen,
zuverlässig und schätzenswerth, ihr seine Nei¬
gung, mit der er sonst sehr kargte, leiden¬
schaftlich zugewendet hatte. Ich mußte mich
nun wohl darein ergeben, und meinem Freun¬
de sein Glück gönnen, indem ich mir jedoch
heimlich mit Selbstvertrauen zu sagen nicht
unterließ, daß wenn der Bruder nicht abwe¬

was mir begegnete, brieflich mit ihr unter¬
hielt, ihr jedes kleine Gedicht, wenn es auch
nur ein Ausrufungszeichen geweſen waͤre, ſo¬
gleich mittheilte, und ihr zunaͤchſt alle Briefe
die ich erhielt, und alle Antworten die ich
darauf ertheilte, ſehen ließ. Alle dieſe lebhaf¬
te Regung hatte ſeit meiner Abreiſe von Frank¬
furt geſtockt, mein Aufenthalt zu Wetzlar war
zu einer ſolchen Unterhaltung nicht ausgiebig
genug, und dann mochte die Neigung zu Lot¬
ten den Aufmerkſamkeiten gegen meine Schwe¬
ſter Eintrag thun; genug, ſie fuͤhlte ſich al¬
lein, vielleicht vernachlaͤſſigt, und gab um ſo
eher den redlichen Bemuͤhungen eines Ehren¬
manns Gehoͤr, welcher ernſt und verſchloſſen,
zuverlaͤſſig und ſchaͤtzenswerth, ihr ſeine Nei¬
gung, mit der er ſonſt ſehr kargte, leiden¬
ſchaftlich zugewendet hatte. Ich mußte mich
nun wohl darein ergeben, und meinem Freun¬
de ſein Gluͤck goͤnnen, indem ich mir jedoch
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[258/0266] was mir begegnete, brieflich mit ihr unter¬ hielt, ihr jedes kleine Gedicht, wenn es auch nur ein Ausrufungszeichen geweſen waͤre, ſo¬ gleich mittheilte, und ihr zunaͤchſt alle Briefe die ich erhielt, und alle Antworten die ich darauf ertheilte, ſehen ließ. Alle dieſe lebhaf¬ te Regung hatte ſeit meiner Abreiſe von Frank¬ furt geſtockt, mein Aufenthalt zu Wetzlar war zu einer ſolchen Unterhaltung nicht ausgiebig genug, und dann mochte die Neigung zu Lot¬ ten den Aufmerkſamkeiten gegen meine Schwe¬ ſter Eintrag thun; genug, ſie fuͤhlte ſich al¬ lein, vielleicht vernachlaͤſſigt, und gab um ſo eher den redlichen Bemuͤhungen eines Ehren¬ manns Gehoͤr, welcher ernſt und verſchloſſen, zuverlaͤſſig und ſchaͤtzenswerth, ihr ſeine Nei¬ gung, mit der er ſonſt ſehr kargte, leiden¬ ſchaftlich zugewendet hatte. Ich mußte mich nun wohl darein ergeben, und meinem Freun¬ de ſein Gluͤck goͤnnen, indem ich mir jedoch heimlich mit Selbſtvertrauen zu ſagen nicht unterließ, daß wenn der Bruder nicht abwe¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/266>, abgerufen am 25.11.2024.