Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Vater ein heiterer Weltsinn, und mit den
Töchtern meine Jugend.

Das Haus, ganz am Ende des Thals,
wenig erhöht über dem Fluß gelegen, hatte
die freye Aussicht den Strom hinabwärts.
Die Zimmer waren hoch und geräumig, und
die Wände galerieartig mit aneinander¬
stoßenden Gemälden behangen. Jedes Fen¬
ster, nach allen Seiten hin, machte den Rah¬
men zu einem natürlichen Bilde, das durch
den Glanz einer milden Sonne sehr lebhaft
hervortrat; ich glaubte nie so heitere Mor¬
gen und so herrliche Abende gesehn zu haben.

Nicht lange war ich allein der Gast im
Hause. Zu dem Congreß, der hier theils im
artistischen, theils im empfindsamen Sinne
gehalten werden sollte, war auch Leuchsen¬
ring
beschieden, der von Düsseldorf herauf¬
kam. Dieser Mann, von schönen Kenntnis¬
sen in der neuern Literatur, hatte sich auf ver¬

Vater ein heiterer Weltſinn, und mit den
Toͤchtern meine Jugend.

Das Haus, ganz am Ende des Thals,
wenig erhoͤht uͤber dem Fluß gelegen, hatte
die freye Ausſicht den Strom hinabwaͤrts.
Die Zimmer waren hoch und geraͤumig, und
die Waͤnde galerieartig mit aneinander¬
ſtoßenden Gemaͤlden behangen. Jedes Fen¬
ſter, nach allen Seiten hin, machte den Rah¬
men zu einem natuͤrlichen Bilde, das durch
den Glanz einer milden Sonne ſehr lebhaft
hervortrat; ich glaubte nie ſo heitere Mor¬
gen und ſo herrliche Abende geſehn zu haben.

Nicht lange war ich allein der Gaſt im
Hauſe. Zu dem Congreß, der hier theils im
artiſtiſchen, theils im empfindſamen Sinne
gehalten werden ſollte, war auch Leuchſen¬
ring
beſchieden, der von Duͤſſeldorf herauf¬
kam. Dieſer Mann, von ſchoͤnen Kenntniſ¬
ſen in der neuern Literatur, hatte ſich auf ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0279" n="271"/>
Vater ein heiterer Welt&#x017F;inn, und mit den<lb/>
To&#x0364;chtern meine Jugend.</p><lb/>
        <p>Das Haus, ganz am Ende des Thals,<lb/>
wenig erho&#x0364;ht u&#x0364;ber dem Fluß gelegen, hatte<lb/>
die freye Aus&#x017F;icht den Strom hinabwa&#x0364;rts.<lb/>
Die Zimmer waren hoch und gera&#x0364;umig, und<lb/>
die Wa&#x0364;nde galerieartig mit aneinander¬<lb/>
&#x017F;toßenden Gema&#x0364;lden behangen. Jedes Fen¬<lb/>
&#x017F;ter, nach allen Seiten hin, machte den Rah¬<lb/>
men zu einem natu&#x0364;rlichen Bilde, das durch<lb/>
den Glanz einer milden Sonne &#x017F;ehr lebhaft<lb/>
hervortrat; ich glaubte nie &#x017F;o heitere Mor¬<lb/>
gen und &#x017F;o herrliche Abende ge&#x017F;ehn zu haben.</p><lb/>
        <p>Nicht lange war ich allein der Ga&#x017F;t im<lb/>
Hau&#x017F;e. Zu dem Congreß, der hier theils im<lb/>
arti&#x017F;ti&#x017F;chen, theils im empfind&#x017F;amen Sinne<lb/>
gehalten werden &#x017F;ollte, war auch <hi rendition="#g">Leuch&#x017F;en¬<lb/>
ring</hi> be&#x017F;chieden, der von Du&#x0364;&#x017F;&#x017F;eldorf herauf¬<lb/>
kam. Die&#x017F;er Mann, von &#x017F;cho&#x0364;nen Kenntni&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en in der neuern Literatur, hatte &#x017F;ich auf ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0279] Vater ein heiterer Weltſinn, und mit den Toͤchtern meine Jugend. Das Haus, ganz am Ende des Thals, wenig erhoͤht uͤber dem Fluß gelegen, hatte die freye Ausſicht den Strom hinabwaͤrts. Die Zimmer waren hoch und geraͤumig, und die Waͤnde galerieartig mit aneinander¬ ſtoßenden Gemaͤlden behangen. Jedes Fen¬ ſter, nach allen Seiten hin, machte den Rah¬ men zu einem natuͤrlichen Bilde, das durch den Glanz einer milden Sonne ſehr lebhaft hervortrat; ich glaubte nie ſo heitere Mor¬ gen und ſo herrliche Abende geſehn zu haben. Nicht lange war ich allein der Gaſt im Hauſe. Zu dem Congreß, der hier theils im artiſtiſchen, theils im empfindſamen Sinne gehalten werden ſollte, war auch Leuchſen¬ ring beſchieden, der von Duͤſſeldorf herauf¬ kam. Dieſer Mann, von ſchoͤnen Kenntniſ¬ ſen in der neuern Literatur, hatte ſich auf ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/279
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/279>, abgerufen am 25.11.2024.