Jahre hinreichend zu thun gewesen, wenn er mit hergebrachter Liebe sich daran hätte hal¬ ten können; aber er war aus der Stille, der Dämmerung, der Dunkelheit, welche ganz allein die reinen Productionen begünstigen kann, in den Lärmen des Tageslichts hervor¬ gezogen, wo man sich in anderen verliert, wo man irre gemacht wird durch Theilnahme wie durch Kälte, durch Lob und durch Tadel, weil diese äußern Berührungen niemals mit der Epoche unserer innern Cultur zusammentreffen, und uns daher, da sie nicht fördern können, nothwendig schaden müssen.
Doch mehr als alle Zerstreuungen des Tags, hielt den Verfasser von Bearbeitung und Vollendung größerer Werke die Lust ab, die über jene Gesellschaft gekommen war, al¬ les was im Leben einigermaßen bedeutendes vorging, zu dramatisiren. Was dieses Kunstwort, (denn ein solches war es, in je¬ ner productiven Gesellschaft) eigentlich bedeu¬
Jahre hinreichend zu thun geweſen, wenn er mit hergebrachter Liebe ſich daran haͤtte hal¬ ten koͤnnen; aber er war aus der Stille, der Daͤmmerung, der Dunkelheit, welche ganz allein die reinen Productionen beguͤnſtigen kann, in den Laͤrmen des Tageslichts hervor¬ gezogen, wo man ſich in anderen verliert, wo man irre gemacht wird durch Theilnahme wie durch Kaͤlte, durch Lob und durch Tadel, weil dieſe aͤußern Beruͤhrungen niemals mit der Epoche unſerer innern Cultur zuſammentreffen, und uns daher, da ſie nicht foͤrdern koͤnnen, nothwendig ſchaden muͤſſen.
Doch mehr als alle Zerſtreuungen des Tags, hielt den Verfaſſer von Bearbeitung und Vollendung groͤßerer Werke die Luſt ab, die uͤber jene Geſellſchaft gekommen war, al¬ les was im Leben einigermaßen bedeutendes vorging, zu dramatiſiren. Was dieſes Kunſtwort, (denn ein ſolches war es, in je¬ ner productiven Geſellſchaft) eigentlich bedeu¬
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Jahre hinreichend zu thun geweſen, wenn er
mit hergebrachter Liebe ſich daran haͤtte hal¬
ten koͤnnen; aber er war aus der Stille, der
Daͤmmerung, der Dunkelheit, welche ganz
allein die reinen Productionen beguͤnſtigen
kann, in den Laͤrmen des Tageslichts hervor¬
gezogen, wo man ſich in anderen verliert, wo
man irre gemacht wird durch Theilnahme wie
durch Kaͤlte, durch Lob und durch Tadel, weil
dieſe aͤußern Beruͤhrungen niemals mit der
Epoche unſerer innern Cultur zuſammentreffen,
und uns daher, da ſie nicht foͤrdern koͤnnen,
nothwendig ſchaden muͤſſen.
Doch mehr als alle Zerſtreuungen des
Tags, hielt den Verfaſſer von Bearbeitung
und Vollendung groͤßerer Werke die Luſt ab,
die uͤber jene Geſellſchaft gekommen war, al¬
les was im Leben einigermaßen bedeutendes
vorging, zu dramatiſiren. Was dieſes
Kunſtwort, (denn ein ſolches war es, in je¬
ner productiven Geſellſchaft) eigentlich bedeu¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/368>, abgerufen am 25.11.2024.
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