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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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und gerade diese Talente sind am schwersten
zu beurtheilen. Man konnte in seinen Ar¬
beiten große Züge nicht verkennen; eine lieb¬
liche Zärtlichkeit schleicht sich durch zwischen
den albernsten und barockesten Fratzen, die
man selbst einem so gründlichen und anspruch¬
losen Humor, einer wahrhaft komischen Gabe
kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus
lauter Nichts zusammengesetzt, dem er durch
seine Rührigkeit eine Bedeutung zu geben
wußte, und er konnte um so mehr viele
Stunden verschlendern, als die Zeit die er
zum Lesen anwendete, ihm, bey einem glück¬
lichen Gedächtniß, immer viel Frucht brachte,
und seine originelle Denkweise mit mannigfal¬
tigem Stoff bereicherte.

Man hatte ihn mit liefländischen Cavalie¬
ren nach Straßburg gesendet, und einen
Mentor nicht leicht unglücklicher wählen können.
Der ältere Baron ging für einige Zeit ins
Vaterland zurück, und hinterließ eine Ge¬

und gerade dieſe Talente ſind am ſchwerſten
zu beurtheilen. Man konnte in ſeinen Ar¬
beiten große Zuͤge nicht verkennen; eine lieb¬
liche Zaͤrtlichkeit ſchleicht ſich durch zwiſchen
den albernſten und barockeſten Fratzen, die
man ſelbſt einem ſo gruͤndlichen und anſpruch¬
loſen Humor, einer wahrhaft komiſchen Gabe
kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus
lauter Nichts zuſammengeſetzt, dem er durch
ſeine Ruͤhrigkeit eine Bedeutung zu geben
wußte, und er konnte um ſo mehr viele
Stunden verſchlendern, als die Zeit die er
zum Leſen anwendete, ihm, bey einem gluͤck¬
lichen Gedaͤchtniß, immer viel Frucht brachte,
und ſeine originelle Denkweiſe mit mannigfal¬
tigem Stoff bereicherte.

Man hatte ihn mit lieflaͤndiſchen Cavalie¬
ren nach Straßburg geſendet, und einen
Mentor nicht leicht ungluͤcklicher waͤhlen koͤnnen.
Der aͤltere Baron ging fuͤr einige Zeit ins
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[377/0385] und gerade dieſe Talente ſind am ſchwerſten zu beurtheilen. Man konnte in ſeinen Ar¬ beiten große Zuͤge nicht verkennen; eine lieb¬ liche Zaͤrtlichkeit ſchleicht ſich durch zwiſchen den albernſten und barockeſten Fratzen, die man ſelbſt einem ſo gruͤndlichen und anſpruch¬ loſen Humor, einer wahrhaft komiſchen Gabe kaum verzeihen kann. Seine Tage waren aus lauter Nichts zuſammengeſetzt, dem er durch ſeine Ruͤhrigkeit eine Bedeutung zu geben wußte, und er konnte um ſo mehr viele Stunden verſchlendern, als die Zeit die er zum Leſen anwendete, ihm, bey einem gluͤck¬ lichen Gedaͤchtniß, immer viel Frucht brachte, und ſeine originelle Denkweiſe mit mannigfal¬ tigem Stoff bereicherte. Man hatte ihn mit lieflaͤndiſchen Cavalie¬ ren nach Straßburg geſendet, und einen Mentor nicht leicht ungluͤcklicher waͤhlen koͤnnen. Der aͤltere Baron ging fuͤr einige Zeit ins Vaterland zuruͤck, und hinterließ eine Ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/385>, abgerufen am 27.11.2024.