Kaum war Goetz von Berlichingen er¬ schienen, als mir Lenz einen weitläuftigen Aufsatz zusendete, auf geringes Conceptpapier geschrieben, dessen er sich gewöhnlich bediente, ohne den mindesten Rand weder oben noch unten, noch an den Seiten zu lassen. Die¬ se Blätter waren betitelt: Ueber unsere Ehe, und sie würden, wären sie noch vor¬ handen, uns gegenwärtig mehr aufklären als mich damals, da ich über ihn und sein We¬ sen noch sehr im Dunkeln schwebte. Das Hauptabsehen dieser weitläuftigen Schrift war, mein Talent und das seinige neben einander zu stellen; bald schien er sich mir zu subordi¬ niren, bald sich mir gleich zu setzen; das al¬ les aber geschah mit so humoristischen und zierlichen Wendungen, daß ich die Ansicht, die er mir dadurch geben wollte, um so lie¬ ber aufnahm, als ich seine Gaben wirklich sehr hoch schätzte und immer nur darauf drang, daß er aus dem formlosen Schweifen sich zu¬ sammenziehen, und die Bildungsgabe, die
Kaum war Goetz von Berlichingen er¬ ſchienen, als mir Lenz einen weitlaͤuftigen Aufſatz zuſendete, auf geringes Conceptpapier geſchrieben, deſſen er ſich gewoͤhnlich bediente, ohne den mindeſten Rand weder oben noch unten, noch an den Seiten zu laſſen. Die¬ ſe Blaͤtter waren betitelt: Ueber unſere Ehe, und ſie wuͤrden, waͤren ſie noch vor¬ handen, uns gegenwaͤrtig mehr aufklaͤren als mich damals, da ich uͤber ihn und ſein We¬ ſen noch ſehr im Dunkeln ſchwebte. Das Hauptabſehen dieſer weitlaͤuftigen Schrift war, mein Talent und das ſeinige neben einander zu ſtellen; bald ſchien er ſich mir zu ſubordi¬ niren, bald ſich mir gleich zu ſetzen; das al¬ les aber geſchah mit ſo humoriſtiſchen und zierlichen Wendungen, daß ich die Anſicht, die er mir dadurch geben wollte, um ſo lie¬ ber aufnahm, als ich ſeine Gaben wirklich ſehr hoch ſchaͤtzte und immer nur darauf drang, daß er aus dem formloſen Schweifen ſich zu¬ ſammenziehen, und die Bildungsgabe, die
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Kaum war Goetz von Berlichingen er¬
ſchienen, als mir Lenz einen weitlaͤuftigen
Aufſatz zuſendete, auf geringes Conceptpapier
geſchrieben, deſſen er ſich gewoͤhnlich bediente,
ohne den mindeſten Rand weder oben noch
unten, noch an den Seiten zu laſſen. Die¬
ſe Blaͤtter waren betitelt: Ueber unſere
Ehe, und ſie wuͤrden, waͤren ſie noch vor¬
handen, uns gegenwaͤrtig mehr aufklaͤren als
mich damals, da ich uͤber ihn und ſein We¬
ſen noch ſehr im Dunkeln ſchwebte. Das
Hauptabſehen dieſer weitlaͤuftigen Schrift war,
mein Talent und das ſeinige neben einander
zu ſtellen; bald ſchien er ſich mir zu ſubordi¬
niren, bald ſich mir gleich zu ſetzen; das al¬
les aber geſchah mit ſo humoriſtiſchen und
zierlichen Wendungen, daß ich die Anſicht,
die er mir dadurch geben wollte, um ſo lie¬
ber aufnahm, als ich ſeine Gaben wirklich
ſehr hoch ſchaͤtzte und immer nur darauf drang,
daß er aus dem formloſen Schweifen ſich zu¬
ſammenziehen, und die Bildungsgabe, die
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/389>, abgerufen am 27.11.2024.
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