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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Verstand, ein biederer Sinn, eine rege Ein¬
bildungskraft, eine glückliche Beobachtung der
menschlichen Mannigfaltigkeit, und eine charac¬
teristische Nachbildung der generischen Unter¬
schiede. Seine Mädchen und Knaben sind
frey und lieblich, seine Jünglinge glühend,
seine Männer schlicht und verständig, die Fi¬
guren die er ungünstig darstellt, nicht zu sehr
übertrieben; ihm fehlt es nicht an Heiterkeit
und guter Laune, Witz und glücklichen Ein¬
fällen; Allegorieen und Symbole stehen ihm
zu Gebot; er weiß uns zu unterhalten und
zu vergnügen, und der Genuß würde noch
reiner seyn, wenn er sich und uns den heitern
bedeutenden Scherz nicht durch ein bitteres
Miswollen hier und da verkümmerte. Doch
dieß macht ihn eben zu dem was er ist, und
dadurch wird ja die Gattung der Lebenden
und Schreibenden so mannigfaltig, daß ein
Jeder, theoretisch, zwischen Erkennen und
Irren, practisch, zwischen Beleben und Ver¬
nichten hin und wieder wogt.

Verſtand, ein biederer Sinn, eine rege Ein¬
bildungskraft, eine gluͤckliche Beobachtung der
menſchlichen Mannigfaltigkeit, und eine charac¬
teriſtiſche Nachbildung der generiſchen Unter¬
ſchiede. Seine Maͤdchen und Knaben ſind
frey und lieblich, ſeine Juͤnglinge gluͤhend,
ſeine Maͤnner ſchlicht und verſtaͤndig, die Fi¬
guren die er unguͤnſtig darſtellt, nicht zu ſehr
uͤbertrieben; ihm fehlt es nicht an Heiterkeit
und guter Laune, Witz und gluͤcklichen Ein¬
faͤllen; Allegorieen und Symbole ſtehen ihm
zu Gebot; er weiß uns zu unterhalten und
zu vergnuͤgen, und der Genuß wuͤrde noch
reiner ſeyn, wenn er ſich und uns den heitern
bedeutenden Scherz nicht durch ein bitteres
Miswollen hier und da verkuͤmmerte. Doch
dieß macht ihn eben zu dem was er iſt, und
dadurch wird ja die Gattung der Lebenden
und Schreibenden ſo mannigfaltig, daß ein
Jeder, theoretiſch, zwiſchen Erkennen und
Irren, practiſch, zwiſchen Beleben und Ver¬
nichten hin und wieder wogt.

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[389/0397] Verſtand, ein biederer Sinn, eine rege Ein¬ bildungskraft, eine gluͤckliche Beobachtung der menſchlichen Mannigfaltigkeit, und eine charac¬ teriſtiſche Nachbildung der generiſchen Unter¬ ſchiede. Seine Maͤdchen und Knaben ſind frey und lieblich, ſeine Juͤnglinge gluͤhend, ſeine Maͤnner ſchlicht und verſtaͤndig, die Fi¬ guren die er unguͤnſtig darſtellt, nicht zu ſehr uͤbertrieben; ihm fehlt es nicht an Heiterkeit und guter Laune, Witz und gluͤcklichen Ein¬ faͤllen; Allegorieen und Symbole ſtehen ihm zu Gebot; er weiß uns zu unterhalten und zu vergnuͤgen, und der Genuß wuͤrde noch reiner ſeyn, wenn er ſich und uns den heitern bedeutenden Scherz nicht durch ein bitteres Miswollen hier und da verkuͤmmerte. Doch dieß macht ihn eben zu dem was er iſt, und dadurch wird ja die Gattung der Lebenden und Schreibenden ſo mannigfaltig, daß ein Jeder, theoretiſch, zwiſchen Erkennen und Irren, practiſch, zwiſchen Beleben und Ver¬ nichten hin und wieder wogt.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/397>, abgerufen am 27.11.2024.