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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ßen. Er wußte von seinem Vorhaben groß
und überzeugend zu sprechen, und Jederman
gab ihm gern zu was er behauptete. Aber
auf die unbegreiflichste Weise verletzte er die
Gemüther der Menschen, denen er eine Bey¬
steuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte sie
ohne Noth, indem er seine Meynungen und
Grillen über religiöse Gegenstände nicht zu¬
rückhalten konnte. Auch hierin erschien Ba¬
sedow als das Gegenstück von Lavatern.
Wenn dieser die Bibel buchstäblich und mit
ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort,
bis auf den heutigen Tag für geltend an¬
nahm und für anwendbar hielt, so fühlte
jener den unruhigsten Kitzel alles zu verneuen,
und sowohl die Glaubenslehren als die äu¬
ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen
einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am
unbarmherzigsten jedoch, und am unvorsich¬
tigsten verfuhr er mit denjenigen Vorstellun¬
gen, die sich nicht unmittelbar aus der Bibel,
sondern von ihrer Auslegung herschreiben,

ßen. Er wußte von ſeinem Vorhaben groß
und uͤberzeugend zu ſprechen, und Jederman
gab ihm gern zu was er behauptete. Aber
auf die unbegreiflichſte Weiſe verletzte er die
Gemuͤther der Menſchen, denen er eine Bey¬
ſteuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte ſie
ohne Noth, indem er ſeine Meynungen und
Grillen uͤber religioͤſe Gegenſtaͤnde nicht zu¬
ruͤckhalten konnte. Auch hierin erſchien Ba¬
ſedow als das Gegenſtuͤck von Lavatern.
Wenn dieſer die Bibel buchſtaͤblich und mit
ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort,
bis auf den heutigen Tag fuͤr geltend an¬
nahm und fuͤr anwendbar hielt, ſo fuͤhlte
jener den unruhigſten Kitzel alles zu verneuen,
und ſowohl die Glaubenslehren als die aͤu¬
ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen
einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am
unbarmherzigſten jedoch, und am unvorſich¬
tigſten verfuhr er mit denjenigen Vorſtellun¬
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[418/0426] ßen. Er wußte von ſeinem Vorhaben groß und uͤberzeugend zu ſprechen, und Jederman gab ihm gern zu was er behauptete. Aber auf die unbegreiflichſte Weiſe verletzte er die Gemuͤther der Menſchen, denen er eine Bey¬ ſteuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte ſie ohne Noth, indem er ſeine Meynungen und Grillen uͤber religioͤſe Gegenſtaͤnde nicht zu¬ ruͤckhalten konnte. Auch hierin erſchien Ba¬ ſedow als das Gegenſtuͤck von Lavatern. Wenn dieſer die Bibel buchſtaͤblich und mit ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort, bis auf den heutigen Tag fuͤr geltend an¬ nahm und fuͤr anwendbar hielt, ſo fuͤhlte jener den unruhigſten Kitzel alles zu verneuen, und ſowohl die Glaubenslehren als die aͤu¬ ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am unbarmherzigſten jedoch, und am unvorſich¬ tigſten verfuhr er mit denjenigen Vorſtellun¬ gen, die ſich nicht unmittelbar aus der Bibel, ſondern von ihrer Auslegung herſchreiben,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/426>, abgerufen am 27.11.2024.