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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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bringen, indem die alte Kutsche, in welcher
man die Schöne transportirte, zerbrochen
war. Sie erbat sich bey dieser Gelegenheit
die Gesellschaft ihres Freundes, den man,
aus Ueberzeugung, er sey auf einem capita¬
len Verbrechen betroffen, bis dahin mit Ket¬
ten beschwert nebenher gehen lassen. Diese
Ketten trugen denn freylich nicht wenig
bey, den Anblick der zärtlichen Gruppe
interessanter zu machen, besonders weil der
junge Mann sie mit vielem Anstand beweg¬
te, indem er wiederholt seiner Geliebten die
Hände küßte.

Wir sind sehr unglücklich! rief sie den
Umstehenden zu; aber nicht so schuldig wie
wir scheinen. So belohnen grausame Men¬
schen treue Liebe, und Eltern, die das Glück
ihrer Kinder gänzlich vernachlässigen, reissen
sie mit Ungestüm aus den Armen der Freu¬
de, die sich ihrer nach langen trüben Tagen
bemächtigte!

bringen, indem die alte Kutſche, in welcher
man die Schöne transportirte, zerbrochen
war. Sie erbat ſich bey dieſer Gelegenheit
die Geſellſchaft ihres Freundes, den man,
aus Ueberzeugung, er ſey auf einem capita¬
len Verbrechen betroffen, bis dahin mit Ket¬
ten beſchwert nebenher gehen laſſen. Dieſe
Ketten trugen denn freylich nicht wenig
bey, den Anblick der zärtlichen Gruppe
intereſſanter zu machen, beſonders weil der
junge Mann ſie mit vielem Anſtand beweg¬
te, indem er wiederholt ſeiner Geliebten die
Hände küßte.

Wir ſind ſehr unglücklich! rief ſie den
Umſtehenden zu; aber nicht ſo ſchuldig wie
wir ſcheinen. So belohnen grauſame Men¬
ſchen treue Liebe, und Eltern, die das Glück
ihrer Kinder gänzlich vernachläſſigen, reiſſen
ſie mit Ungeſtüm aus den Armen der Freu¬
de, die ſich ihrer nach langen trüben Tagen
bemächtigte!

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[111/0119] bringen, indem die alte Kutſche, in welcher man die Schöne transportirte, zerbrochen war. Sie erbat ſich bey dieſer Gelegenheit die Geſellſchaft ihres Freundes, den man, aus Ueberzeugung, er ſey auf einem capita¬ len Verbrechen betroffen, bis dahin mit Ket¬ ten beſchwert nebenher gehen laſſen. Dieſe Ketten trugen denn freylich nicht wenig bey, den Anblick der zärtlichen Gruppe intereſſanter zu machen, beſonders weil der junge Mann ſie mit vielem Anſtand beweg¬ te, indem er wiederholt ſeiner Geliebten die Hände küßte. Wir ſind ſehr unglücklich! rief ſie den Umſtehenden zu; aber nicht ſo ſchuldig wie wir ſcheinen. So belohnen grauſame Men¬ ſchen treue Liebe, und Eltern, die das Glück ihrer Kinder gänzlich vernachläſſigen, reiſſen ſie mit Ungeſtüm aus den Armen der Freu¬ de, die ſich ihrer nach langen trüben Tagen bemächtigte!

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/119>, abgerufen am 27.11.2024.