Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

hause (er hatte in eben demselben, in wel¬
chem Philine wohnte, Platz gefunden) gleich
zu markten und zu quängeln an. Er wollte
für weniges Geld besseres Quartier, reichli¬
chere Mahlzeit und promptere Bedienung
haben. In kurzer Zeit machten Wirth und
Kellner verdrießliche Gesichter, und wenn die
andern, um froh zu leben, sich alles gefallen
ließen, und nur geschwind bezahlten, um
nicht länger an das zu denken, was schon
verzehrt war; so mußte die Mahlzeit, die
Melina regelmäßig sogleich berichtigte, jeder¬
zeit von vorn wieder durchgenommen wer¬
den, so daß Philine ihn, ohne Umstände, ein
wiederkäuendes Thier nannte.

Noch verhaßter war Madam Melina
dem lustigen Mädchen. Diese junge Frau
war nicht ohne Bildung, doch fehlte es ihr
gänzlich an Geist und Seele. Sie deklamir¬
te nicht übel, und wollte immer deklamiren;

hauſe (er hatte in eben demſelben, in wel¬
chem Philine wohnte, Platz gefunden) gleich
zu markten und zu quängeln an. Er wollte
für weniges Geld beſſeres Quartier, reichli¬
chere Mahlzeit und promptere Bedienung
haben. In kurzer Zeit machten Wirth und
Kellner verdrießliche Geſichter, und wenn die
andern, um froh zu leben, ſich alles gefallen
ließen, und nur geſchwind bezahlten, um
nicht länger an das zu denken, was ſchon
verzehrt war; ſo mußte die Mahlzeit, die
Melina regelmäßig ſogleich berichtigte, jeder¬
zeit von vorn wieder durchgenommen wer¬
den, ſo daß Philine ihn, ohne Umſtände, ein
wiederkäuendes Thier nannte.

Noch verhaßter war Madam Melina
dem luſtigen Mädchen. Dieſe junge Frau
war nicht ohne Bildung, doch fehlte es ihr
gänzlich an Geiſt und Seele. Sie deklamir¬
te nicht übel, und wollte immer deklamiren;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0277" n="269"/>
hau&#x017F;e (er hatte in eben dem&#x017F;elben, in wel¬<lb/>
chem Philine wohnte, Platz gefunden) gleich<lb/>
zu markten und zu quängeln an. Er wollte<lb/>
für weniges Geld be&#x017F;&#x017F;eres Quartier, reichli¬<lb/>
chere Mahlzeit und promptere Bedienung<lb/>
haben. In kurzer Zeit machten Wirth und<lb/>
Kellner verdrießliche Ge&#x017F;ichter, und wenn die<lb/>
andern, um froh zu leben, &#x017F;ich alles gefallen<lb/>
ließen, und nur ge&#x017F;chwind bezahlten, um<lb/>
nicht länger an das zu denken, was &#x017F;chon<lb/>
verzehrt war; &#x017F;o mußte die Mahlzeit, die<lb/>
Melina regelmäßig &#x017F;ogleich berichtigte, jeder¬<lb/>
zeit von vorn wieder durchgenommen wer¬<lb/>
den, &#x017F;o daß Philine ihn, ohne Um&#x017F;tände, ein<lb/>
wiederkäuendes Thier nannte.</p><lb/>
            <p>Noch verhaßter war Madam Melina<lb/>
dem lu&#x017F;tigen Mädchen. Die&#x017F;e junge Frau<lb/>
war nicht ohne Bildung, doch fehlte es ihr<lb/>
gänzlich an Gei&#x017F;t und Seele. Sie deklamir¬<lb/>
te nicht übel, und wollte immer deklamiren;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0277] hauſe (er hatte in eben demſelben, in wel¬ chem Philine wohnte, Platz gefunden) gleich zu markten und zu quängeln an. Er wollte für weniges Geld beſſeres Quartier, reichli¬ chere Mahlzeit und promptere Bedienung haben. In kurzer Zeit machten Wirth und Kellner verdrießliche Geſichter, und wenn die andern, um froh zu leben, ſich alles gefallen ließen, und nur geſchwind bezahlten, um nicht länger an das zu denken, was ſchon verzehrt war; ſo mußte die Mahlzeit, die Melina regelmäßig ſogleich berichtigte, jeder¬ zeit von vorn wieder durchgenommen wer¬ den, ſo daß Philine ihn, ohne Umſtände, ein wiederkäuendes Thier nannte. Noch verhaßter war Madam Melina dem luſtigen Mädchen. Dieſe junge Frau war nicht ohne Bildung, doch fehlte es ihr gänzlich an Geiſt und Seele. Sie deklamir¬ te nicht übel, und wollte immer deklamiren;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/277
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/277>, abgerufen am 22.11.2024.