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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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ne; man sollte die Aufführung mancher
Stücke eher für eine Erzählung halten, und
diesen musikalischen Erzählungen eine sinnli¬
che Gegenwart zuschreiben.

Sie sind ungerecht, versetzte Laertes, ich
gebe mich weder für einen großen Schauspie¬
ler noch Sänger; aber das weiß ich, daß,
wenn die Musik die Bewegungen des Kör¬
pers leitet, ihnen Leben giebt, und ihnen zu¬
gleich das Maaß vorschreibt; wenn Decla¬
mation und Ausdruck schon von dem Com¬
positeur auf mich übertragen werden: so bin
ich ein ganz anderer Mensch, als wenn ich
im prosaischen Drama das alles erst erschaf¬
fen, und Takt und Declamation mir erst er¬
finden soll, worin mich noch dazu jeder Mit¬
spielende stören kann.

So viel weiß ich, sagte Melina, daß uns
dieser Mann in Einem Punkte gewiß be¬
schämt, und zwar in einem Hauptpunkte.

ne; man ſollte die Aufführung mancher
Stücke eher für eine Erzählung halten, und
dieſen muſikaliſchen Erzählungen eine ſinnli¬
che Gegenwart zuſchreiben.

Sie ſind ungerecht, verſetzte Laertes, ich
gebe mich weder für einen großen Schauſpie¬
ler noch Sänger; aber das weiß ich, daß,
wenn die Muſik die Bewegungen des Kör¬
pers leitet, ihnen Leben giebt, und ihnen zu¬
gleich das Maaß vorſchreibt; wenn Decla¬
mation und Ausdruck ſchon von dem Com¬
poſiteur auf mich übertragen werden: ſo bin
ich ein ganz anderer Menſch, als wenn ich
im proſaiſchen Drama das alles erſt erſchaf¬
fen, und Takt und Declamation mir erſt er¬
finden ſoll, worin mich noch dazu jeder Mit¬
ſpielende ſtören kann.

So viel weiß ich, ſagte Melina, daß uns
dieſer Mann in Einem Punkte gewiß be¬
ſchämt, und zwar in einem Hauptpunkte.

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[332/0340] ne; man ſollte die Aufführung mancher Stücke eher für eine Erzählung halten, und dieſen muſikaliſchen Erzählungen eine ſinnli¬ che Gegenwart zuſchreiben. Sie ſind ungerecht, verſetzte Laertes, ich gebe mich weder für einen großen Schauſpie¬ ler noch Sänger; aber das weiß ich, daß, wenn die Muſik die Bewegungen des Kör¬ pers leitet, ihnen Leben giebt, und ihnen zu¬ gleich das Maaß vorſchreibt; wenn Decla¬ mation und Ausdruck ſchon von dem Com¬ poſiteur auf mich übertragen werden: ſo bin ich ein ganz anderer Menſch, als wenn ich im proſaiſchen Drama das alles erſt erſchaf¬ fen, und Takt und Declamation mir erſt er¬ finden ſoll, worin mich noch dazu jeder Mit¬ ſpielende ſtören kann. So viel weiß ich, ſagte Melina, daß uns dieſer Mann in Einem Punkte gewiß be¬ ſchämt, und zwar in einem Hauptpunkte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/340>, abgerufen am 22.11.2024.