Sein Freund Shakespear, den er mit großer Freude auch als seinen Pathen aner¬ kannte, und sich nur um so lieber Wilhelm nennen ließ, hatte ihm einen Prinzen be¬ kannt gemacht, der sich unter geringer, ja sogar schlechter Gesellschaft eine Zeitlang auf¬ hält, und, ohngeachtet seiner edlen Natur, an der Roheit, Unschicklichkeit und Al¬ bernheit solcher ganz sinnlichen Bursche sich ergötzt. Höchst willkommen war ihm das Ideal, womit er seinen gegenwärtigen Zu¬ stand vergleichen konnte, und der Selbstbe¬ trug, wozu er eine fast unüberwindliche Nei¬ gung spürte, ward ihm dadurch ausserordent¬ lich erleichtert.
Er fing nun an über seine Kleidung nach¬ zudenken. Er fand, daß ein Westchen, über das man im Nothfall einen kurzen Mantel würfe, für einen Wanderer eine sehr ange¬ messene Tracht sey. Lange gestrickte Bein¬
Sein Freund Shakeſpear, den er mit großer Freude auch als ſeinen Pathen aner¬ kannte, und ſich nur um ſo lieber Wilhelm nennen ließ, hatte ihm einen Prinzen be¬ kannt gemacht, der ſich unter geringer, ja ſogar ſchlechter Geſellſchaft eine Zeitlang auf¬ hält, und, ohngeachtet ſeiner edlen Natur, an der Roheit, Unſchicklichkeit und Al¬ bernheit ſolcher ganz ſinnlichen Burſche ſich ergötzt. Höchſt willkommen war ihm das Ideal, womit er ſeinen gegenwärtigen Zu¬ ſtand vergleichen konnte, und der Selbſtbe¬ trug, wozu er eine faſt unüberwindliche Nei¬ gung ſpürte, ward ihm dadurch auſſerordent¬ lich erleichtert.
Er fing nun an über ſeine Kleidung nach¬ zudenken. Er fand, daß ein Weſtchen, über das man im Nothfall einen kurzen Mantel würfe, für einen Wanderer eine ſehr ange¬ meſſene Tracht ſey. Lange geſtrickte Bein¬
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Sein Freund Shakeſpear, den er mit
großer Freude auch als ſeinen Pathen aner¬
kannte, und ſich nur um ſo lieber Wilhelm
nennen ließ, hatte ihm einen Prinzen be¬
kannt gemacht, der ſich unter geringer, ja
ſogar ſchlechter Geſellſchaft eine Zeitlang auf¬
hält, und, ohngeachtet ſeiner edlen Natur,
an der Roheit, Unſchicklichkeit und Al¬
bernheit ſolcher ganz ſinnlichen Burſche ſich
ergötzt. Höchſt willkommen war ihm das
Ideal, womit er ſeinen gegenwärtigen Zu¬
ſtand vergleichen konnte, und der Selbſtbe¬
trug, wozu er eine faſt unüberwindliche Nei¬
gung ſpürte, ward ihm dadurch auſſerordent¬
lich erleichtert.
Er fing nun an über ſeine Kleidung nach¬
zudenken. Er fand, daß ein Weſtchen, über
das man im Nothfall einen kurzen Mantel
würfe, für einen Wanderer eine ſehr ange¬
meſſene Tracht ſey. Lange geſtrickte Bein¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/190>, abgerufen am 21.11.2024.
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