Therese antwortete: "Ich bin nicht we¬ nig verwundert, daß Lothario selbst über¬ zeugt ist, denn gegen seine Schwester wird er sich nicht auf diesen Grad verstellen. Ich bin verdrießlich, sehr verdrießlich. Es ist besser, ich sage nichts weiter. Am besten ists, ich komme zu Dir, wenn ich nur erst die arme Lydie untergebracht habe, mit der man grausam umgeht. Ich fürchte, wir sind alle betrogen, und werden so betrogen, um nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund meinen Sinn hätte, so entschlüpfte er Dir doch, und würfe sich an das Herz seiner Therese, die ihm dann niemand entreißen sollte; aber ich fürchte ich soll ihn verlieren und Lohario nicht wieder gewinnen. Diesem entreißt man Lydien, indem man ihm die Hoffnung, mich besitzen zu können, von Wei¬ ten zeigt. Ich will nichts weiter sagen, die Verwirrung wird noch größer werden. Ob
Thereſe antwortete: »Ich bin nicht we¬ nig verwundert, daß Lothario ſelbſt über¬ zeugt iſt, denn gegen ſeine Schweſter wird er ſich nicht auf dieſen Grad verſtellen. Ich bin verdrießlich, ſehr verdrießlich. Es iſt beſſer, ich ſage nichts weiter. Am beſten iſts, ich komme zu Dir, wenn ich nur erſt die arme Lydie untergebracht habe, mit der man grauſam umgeht. Ich fürchte, wir ſind alle betrogen, und werden ſo betrogen, um nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund meinen Sinn hätte, ſo entſchlüpfte er Dir doch, und würfe ſich an das Herz ſeiner Thereſe, die ihm dann niemand entreißen ſollte; aber ich fürchte ich ſoll ihn verlieren und Lohario nicht wieder gewinnen. Dieſem entreißt man Lydien, indem man ihm die Hoffnung, mich beſitzen zu können, von Wei¬ ten zeigt. Ich will nichts weiter ſagen, die Verwirrung wird noch größer werden. Ob
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0320"n="316"/><p>Thereſe antwortete: »Ich bin nicht we¬<lb/>
nig verwundert, daß Lothario ſelbſt über¬<lb/>
zeugt iſt, denn gegen ſeine Schweſter wird<lb/>
er ſich nicht auf dieſen Grad verſtellen. Ich<lb/>
bin verdrießlich, ſehr verdrießlich. Es iſt<lb/>
beſſer, ich ſage nichts weiter. Am beſten<lb/>
iſts, ich komme zu Dir, wenn ich nur erſt<lb/>
die arme Lydie untergebracht habe, mit der<lb/>
man grauſam umgeht. Ich fürchte, wir ſind<lb/>
alle betrogen, und werden ſo betrogen, um<lb/>
nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund<lb/>
meinen Sinn hätte, ſo entſchlüpfte er Dir<lb/>
doch, und würfe ſich an das Herz ſeiner<lb/>
Thereſe, die ihm dann niemand entreißen<lb/>ſollte; aber ich fürchte ich ſoll ihn verlieren<lb/>
und Lohario nicht wieder gewinnen. Dieſem<lb/>
entreißt man Lydien, indem man ihm die<lb/>
Hoffnung, mich beſitzen zu können, von Wei¬<lb/>
ten zeigt. Ich will nichts weiter ſagen, die<lb/>
Verwirrung wird noch größer werden. Ob<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[316/0320]
Thereſe antwortete: »Ich bin nicht we¬
nig verwundert, daß Lothario ſelbſt über¬
zeugt iſt, denn gegen ſeine Schweſter wird
er ſich nicht auf dieſen Grad verſtellen. Ich
bin verdrießlich, ſehr verdrießlich. Es iſt
beſſer, ich ſage nichts weiter. Am beſten
iſts, ich komme zu Dir, wenn ich nur erſt
die arme Lydie untergebracht habe, mit der
man grauſam umgeht. Ich fürchte, wir ſind
alle betrogen, und werden ſo betrogen, um
nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund
meinen Sinn hätte, ſo entſchlüpfte er Dir
doch, und würfe ſich an das Herz ſeiner
Thereſe, die ihm dann niemand entreißen
ſollte; aber ich fürchte ich ſoll ihn verlieren
und Lohario nicht wieder gewinnen. Dieſem
entreißt man Lydien, indem man ihm die
Hoffnung, mich beſitzen zu können, von Wei¬
ten zeigt. Ich will nichts weiter ſagen, die
Verwirrung wird noch größer werden. Ob
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/320>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.