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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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die Menschheit aus, nur alle Kräfte zusam¬
mengenommen die Welt. Diese sind unter
sich oft im Widerstreit, und indem sie sich
zu zerstören suchen, hält sie die Natur zu¬
sammen, und bringt sie wieder hervor. Von
dem geringsten thierischen Handwerkstriebe,
bis zur höchsten Ausübung der geistigsten
Kunst, vom Lallen und Jauchzen des Kindes,
bis zur treffiichsten Äusserung des Redners
und Sängers, vom ersten Balgen der Kna¬
ben bis zu den ungeheuren Anstalten, wo¬
durch Länder erhalten und erobert werden,
vom leichtesten Wohlwollen und der flüch¬
tigsten Liebe, bis zur heftigsten Leidenschaft
und zum ernstesten Bunde, von dem reinsten
Gefühl der sinnlichen Gegenwart bis zu den
leisesten Ahndungen und Hoffnungen der ent¬
ferntesten geistigen Zukunft, alles das und
weit mehr liegt im Menschen, und muß aus¬
gebildet werden; aber nicht in Einem, son¬

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die Menſchheit aus, nur alle Kräfte zuſam¬
mengenommen die Welt. Dieſe ſind unter
ſich oft im Widerſtreit, und indem ſie ſich
zu zerſtören ſuchen, hält ſie die Natur zu¬
ſammen, und bringt ſie wieder hervor. Von
dem geringſten thieriſchen Handwerkstriebe,
bis zur höchſten Ausübung der geiſtigſten
Kunſt, vom Lallen und Jauchzen des Kindes,
bis zur treffiichſten Äuſſerung des Redners
und Sängers, vom erſten Balgen der Kna¬
ben bis zu den ungeheuren Anſtalten, wo¬
durch Länder erhalten und erobert werden,
vom leichteſten Wohlwollen und der flüch¬
tigſten Liebe, bis zur heftigſten Leidenſchaft
und zum ernſteſten Bunde, von dem reinſten
Gefühl der ſinnlichen Gegenwart bis zu den
leiſeſten Ahndungen und Hoffnungen der ent¬
fernteſten geiſtigen Zukunft, alles das und
weit mehr liegt im Menſchen, und muß aus¬
gebildet werden; aber nicht in Einem, ſon¬

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[355/0359] die Menſchheit aus, nur alle Kräfte zuſam¬ mengenommen die Welt. Dieſe ſind unter ſich oft im Widerſtreit, und indem ſie ſich zu zerſtören ſuchen, hält ſie die Natur zu¬ ſammen, und bringt ſie wieder hervor. Von dem geringſten thieriſchen Handwerkstriebe, bis zur höchſten Ausübung der geiſtigſten Kunſt, vom Lallen und Jauchzen des Kindes, bis zur treffiichſten Äuſſerung des Redners und Sängers, vom erſten Balgen der Kna¬ ben bis zu den ungeheuren Anſtalten, wo¬ durch Länder erhalten und erobert werden, vom leichteſten Wohlwollen und der flüch¬ tigſten Liebe, bis zur heftigſten Leidenſchaft und zum ernſteſten Bunde, von dem reinſten Gefühl der ſinnlichen Gegenwart bis zu den leiſeſten Ahndungen und Hoffnungen der ent¬ fernteſten geiſtigen Zukunft, alles das und weit mehr liegt im Menſchen, und muß aus¬ gebildet werden; aber nicht in Einem, ſon¬ Z 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/359>, abgerufen am 22.11.2024.