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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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ten wirklich in guter Gesellschaft zu seyn,
wo man für unschicklich hält irgend eine
Materie zu lange fortsetzen, oder wohl gar
gründlich erörtern zu wollen. Wir glaubten
in lebhafter Gesellschaft zu seyn, wo keins
das andere zum Wort kommen läßt. Diese
Unterhaltung geben wir uns regelmäßig alle
Tage, und werden dadurch nach und nach
so gelehrt, daß wir uns selbst darüber ver¬
wunderten. Schon finden wir nichts neues
mehr unter der Sonne, zu allem bietet uns
unsere Wissenschaft einen Beleg an. Wir
variiren, diese Art uns zu unterrichten, auf
gar vielerley Weise. Manchmal lesen wir
nach einer alten verdorbenen Sanduhr, die
in einigen Minuten ausgelaufen ist. Schnell
dreht sie das andere herum, und fängt aus
einem Buche zu lesen an, und kaum ist wie¬
der der Sand im untern Glase, so beginnt
das andere schon wieder seinen Spruch, und

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ten wirklich in guter Geſellſchaft zu ſeyn,
wo man für unſchicklich hält irgend eine
Materie zu lange fortſetzen, oder wohl gar
gründlich erörtern zu wollen. Wir glaubten
in lebhafter Geſellſchaft zu ſeyn, wo keins
das andere zum Wort kommen läßt. Dieſe
Unterhaltung geben wir uns regelmäßig alle
Tage, und werden dadurch nach und nach
ſo gelehrt, daß wir uns ſelbſt darüber ver¬
wunderten. Schon finden wir nichts neues
mehr unter der Sonne, zu allem bietet uns
unſere Wiſſenſchaft einen Beleg an. Wir
variiren, dieſe Art uns zu unterrichten, auf
gar vielerley Weiſe. Manchmal leſen wir
nach einer alten verdorbenen Sanduhr, die
in einigen Minuten ausgelaufen iſt. Schnell
dreht ſie das andere herum, und fängt aus
einem Buche zu leſen an, und kaum iſt wie¬
der der Sand im untern Glaſe, ſo beginnt
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[371/0375] ten wirklich in guter Geſellſchaft zu ſeyn, wo man für unſchicklich hält irgend eine Materie zu lange fortſetzen, oder wohl gar gründlich erörtern zu wollen. Wir glaubten in lebhafter Geſellſchaft zu ſeyn, wo keins das andere zum Wort kommen läßt. Dieſe Unterhaltung geben wir uns regelmäßig alle Tage, und werden dadurch nach und nach ſo gelehrt, daß wir uns ſelbſt darüber ver¬ wunderten. Schon finden wir nichts neues mehr unter der Sonne, zu allem bietet uns unſere Wiſſenſchaft einen Beleg an. Wir variiren, dieſe Art uns zu unterrichten, auf gar vielerley Weiſe. Manchmal leſen wir nach einer alten verdorbenen Sanduhr, die in einigen Minuten ausgelaufen iſt. Schnell dreht ſie das andere herum, und fängt aus einem Buche zu leſen an, und kaum iſt wie¬ der der Sand im untern Glaſe, ſo beginnt das andere ſchon wieder ſeinen Spruch, und A a 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/375>, abgerufen am 22.11.2024.