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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Liebe mit himmlischem Blick und dem Kranz
der Unsterblichkeit.

Die Knaben waren schon fern, der Abbe
stand von seinem Sessel auf, und trat hin¬
ter den Sarg. Es ist die Verordnung, sagte
er, des Mannes, der diese stille Wohnung
bereitet hat, daß jeder neue Ankömmling mit
Feyerlichkeit empfangen werden soll. Nach
ihm, dem Erbauer dieses Hauses, dem Er¬
richter dieser Stätte, haben wir zuerst einen
jungen Fremdling hierher gebracht, und so
faßt schon dieser kleine Raum zwey ganz
verschiedene Opfer der strengen, willkühr¬
lichen und unerbittlichen Todesgöttinn. Nach
bestimmten Gesetzen treten wir ins Leben
ein, die Tage sind gezählt, die uns zum
Anblicke des Lichts reif machen, aber für die
Lebensdauer ist kein Gesetz. Der schwächste
Lebensfaden zieht sich in unerwartete Länge,
und den stärksten zerschneidet gewaltsam die

W. Meisters Lehrj. 4. D d

Liebe mit himmliſchem Blick und dem Kranz
der Unſterblichkeit.

Die Knaben waren ſchon fern, der Abbé
ſtand von ſeinem Seſſel auf, und trat hin¬
ter den Sarg. Es iſt die Verordnung, ſagte
er, des Mannes, der dieſe ſtille Wohnung
bereitet hat, daß jeder neue Ankömmling mit
Feyerlichkeit empfangen werden ſoll. Nach
ihm, dem Erbauer dieſes Hauſes, dem Er¬
richter dieſer Stätte, haben wir zuerſt einen
jungen Fremdling hierher gebracht, und ſo
faßt ſchon dieſer kleine Raum zwey ganz
verſchiedene Opfer der ſtrengen, willkühr¬
lichen und unerbittlichen Todesgöttinn. Nach
beſtimmten Geſetzen treten wir ins Leben
ein, die Tage ſind gezählt, die uns zum
Anblicke des Lichts reif machen, aber für die
Lebensdauer iſt kein Geſetz. Der ſchwächſte
Lebensfaden zieht ſich in unerwartete Länge,
und den ſtärkſten zerſchneidet gewaltſam die

W. Meiſters Lehrj. 4. D d
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[417/0421] Liebe mit himmliſchem Blick und dem Kranz der Unſterblichkeit. Die Knaben waren ſchon fern, der Abbé ſtand von ſeinem Seſſel auf, und trat hin¬ ter den Sarg. Es iſt die Verordnung, ſagte er, des Mannes, der dieſe ſtille Wohnung bereitet hat, daß jeder neue Ankömmling mit Feyerlichkeit empfangen werden ſoll. Nach ihm, dem Erbauer dieſes Hauſes, dem Er¬ richter dieſer Stätte, haben wir zuerſt einen jungen Fremdling hierher gebracht, und ſo faßt ſchon dieſer kleine Raum zwey ganz verſchiedene Opfer der ſtrengen, willkühr¬ lichen und unerbittlichen Todesgöttinn. Nach beſtimmten Geſetzen treten wir ins Leben ein, die Tage ſind gezählt, die uns zum Anblicke des Lichts reif machen, aber für die Lebensdauer iſt kein Geſetz. Der ſchwächſte Lebensfaden zieht ſich in unerwartete Länge, und den ſtärkſten zerſchneidet gewaltſam die W. Meiſters Lehrj. 4. D d

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/421>, abgerufen am 22.11.2024.