Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

durchaus in einen bessern Zustand zu ver¬
setzen. Man schickte den Curier fort, der
kaum weggeritten war, als am Abend der
Arzt mit einem Fremden hereintrat, dessen
Gestalt und Wesen bedeutend, ernsthaft und
auffallend war, und den niemand kannte.
Beyde Ankömmlinge schwiegen eine Zeit lang
stille, endlich ging der Fremde auf Wilhel¬
men los, reichte ihm die Hand und sagte:
Kennen Sie Ihren alten Freund nicht mehr?
Es war die Stimme des Harfenspielers, aber
von seiner Gestalt schien keine Spur übrig
geblieben zu seyn. Er war in der gewöhn¬
lichen Tracht eines Reisenden, reinlich und
anständig gekleidet, sein Bart war verschwun¬
den, seinen Locken sah man einige Kunst an,
und was ihn eigentlich ganz unkenntlich
machte, war, daß an seinem bedeutenden
Gesichte die Züge des Alters nicht mehr er¬
schienen. Wilhelm umarmte ihn mit der leb¬

durchaus in einen beſſern Zuſtand zu ver¬
ſetzen. Man ſchickte den Curier fort, der
kaum weggeritten war, als am Abend der
Arzt mit einem Fremden hereintrat, deſſen
Geſtalt und Weſen bedeutend, ernſthaft und
auffallend war, und den niemand kannte.
Beyde Ankömmlinge ſchwiegen eine Zeit lang
ſtille, endlich ging der Fremde auf Wilhel¬
men los, reichte ihm die Hand und ſagte:
Kennen Sie Ihren alten Freund nicht mehr?
Es war die Stimme des Harfenſpielers, aber
von ſeiner Geſtalt ſchien keine Spur übrig
geblieben zu ſeyn. Er war in der gewöhn¬
lichen Tracht eines Reiſenden, reinlich und
anſtändig gekleidet, ſein Bart war verſchwun¬
den, ſeinen Locken ſah man einige Kunſt an,
und was ihn eigentlich ganz unkenntlich
machte, war, daß an ſeinem bedeutenden
Geſichte die Züge des Alters nicht mehr er¬
ſchienen. Wilhelm umarmte ihn mit der leb¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0473" n="469"/>
durchaus in einen be&#x017F;&#x017F;ern Zu&#x017F;tand zu ver¬<lb/>
&#x017F;etzen. Man &#x017F;chickte den Curier fort, der<lb/>
kaum weggeritten war, als am <choice><sic>Abeud</sic><corr>Abend</corr></choice> der<lb/>
Arzt mit einem Fremden hereintrat, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Ge&#x017F;talt und We&#x017F;en bedeutend, ern&#x017F;thaft und<lb/>
auffallend war, und den niemand kannte.<lb/>
Beyde Ankömmlinge &#x017F;chwiegen eine Zeit lang<lb/>
&#x017F;tille, endlich ging der Fremde auf Wilhel¬<lb/>
men los, reichte ihm die Hand und &#x017F;agte:<lb/>
Kennen Sie Ihren alten Freund nicht mehr?<lb/>
Es war die Stimme des Harfen&#x017F;pielers, aber<lb/>
von &#x017F;einer Ge&#x017F;talt &#x017F;chien keine Spur übrig<lb/>
geblieben zu &#x017F;eyn. Er war in der gewöhn¬<lb/>
lichen Tracht eines Rei&#x017F;enden, reinlich und<lb/>
an&#x017F;tändig gekleidet, &#x017F;ein Bart war ver&#x017F;chwun¬<lb/>
den, &#x017F;einen Locken &#x017F;ah man einige Kun&#x017F;t an,<lb/>
und was ihn eigentlich ganz unkenntlich<lb/>
machte, war, daß an &#x017F;einem bedeutenden<lb/>
Ge&#x017F;ichte die Züge des Alters nicht mehr er¬<lb/>
&#x017F;chienen. Wilhelm umarmte ihn mit der leb¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0473] durchaus in einen beſſern Zuſtand zu ver¬ ſetzen. Man ſchickte den Curier fort, der kaum weggeritten war, als am Abend der Arzt mit einem Fremden hereintrat, deſſen Geſtalt und Weſen bedeutend, ernſthaft und auffallend war, und den niemand kannte. Beyde Ankömmlinge ſchwiegen eine Zeit lang ſtille, endlich ging der Fremde auf Wilhel¬ men los, reichte ihm die Hand und ſagte: Kennen Sie Ihren alten Freund nicht mehr? Es war die Stimme des Harfenſpielers, aber von ſeiner Geſtalt ſchien keine Spur übrig geblieben zu ſeyn. Er war in der gewöhn¬ lichen Tracht eines Reiſenden, reinlich und anſtändig gekleidet, ſein Bart war verſchwun¬ den, ſeinen Locken ſah man einige Kunſt an, und was ihn eigentlich ganz unkenntlich machte, war, daß an ſeinem bedeutenden Geſichte die Züge des Alters nicht mehr er¬ ſchienen. Wilhelm umarmte ihn mit der leb¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/473
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/473>, abgerufen am 02.06.2024.