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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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das Kind, das in der entsetzlichsten Bewe¬
gung war, sagte er, einen Augenblick ruhen
lassen, es sey alles räthliche geschehen, er
wolle das mögliche thun. Der Graf trat
mit einigem Unwillen, wie es schien, herbey,
er sah ernst, ja feyerlich aus, legte die Hände
auf das Kind, blickte gen Himmel, und blieb
einige Augenblicke in dieser Stellung. Wil¬
helm, der trostlos in einem Sessel lag, sprang
auf, warf einen Blick voll Verzweiflung auf
Natalien und ging zur Thüre hinaus.

Kurz darauf verließ auch der Graf das
Zimmer.

Ich begreife nicht, sagte der Arzt nach
einiger Pause, daß sich auch nicht die geringste
Spur eines gefährlichen Zustandes am Kinde
zeigt. Auch nur mit einem Schluck muß es
eine ungeheure Dose Opium zu sich genom¬
men haben, und nun finde ich an seinem
Pulse keine weitere Bewegung, als ich mei¬

das Kind, das in der entſetzlichſten Bewe¬
gung war, ſagte er, einen Augenblick ruhen
laſſen, es ſey alles räthliche geſchehen, er
wolle das mögliche thun. Der Graf trat
mit einigem Unwillen, wie es ſchien, herbey,
er ſah ernſt, ja feyerlich aus, legte die Hände
auf das Kind, blickte gen Himmel, und blieb
einige Augenblicke in dieſer Stellung. Wil¬
helm, der troſtlos in einem Seſſel lag, ſprang
auf, warf einen Blick voll Verzweiflung auf
Natalien und ging zur Thüre hinaus.

Kurz darauf verließ auch der Graf das
Zimmer.

Ich begreife nicht, ſagte der Arzt nach
einiger Pauſe, daß ſich auch nicht die geringſte
Spur eines gefährlichen Zuſtandes am Kinde
zeigt. Auch nur mit einem Schluck muß es
eine ungeheure Doſe Opium zu ſich genom¬
men haben, und nun finde ich an ſeinem
Pulſe keine weitere Bewegung, als ich mei¬

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[486/0490] das Kind, das in der entſetzlichſten Bewe¬ gung war, ſagte er, einen Augenblick ruhen laſſen, es ſey alles räthliche geſchehen, er wolle das mögliche thun. Der Graf trat mit einigem Unwillen, wie es ſchien, herbey, er ſah ernſt, ja feyerlich aus, legte die Hände auf das Kind, blickte gen Himmel, und blieb einige Augenblicke in dieſer Stellung. Wil¬ helm, der troſtlos in einem Seſſel lag, ſprang auf, warf einen Blick voll Verzweiflung auf Natalien und ging zur Thüre hinaus. Kurz darauf verließ auch der Graf das Zimmer. Ich begreife nicht, ſagte der Arzt nach einiger Pauſe, daß ſich auch nicht die geringſte Spur eines gefährlichen Zuſtandes am Kinde zeigt. Auch nur mit einem Schluck muß es eine ungeheure Doſe Opium zu ſich genom¬ men haben, und nun finde ich an ſeinem Pulſe keine weitere Bewegung, als ich mei¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/490>, abgerufen am 22.11.2024.