nem Leben, daß ich jemanden auf diese Weise hintergehe. Denn ich habe immer geglaubt, daß es uns zu weit führen könne, wenn wir einmal um des Guten und Nützlichen willen zu betrügen anfangen.
Können wir doch Kinder nicht anders er¬ ziehen, als auf diese Weise, versetzte Jarno.
Bey Kindern möchte es noch hingehen, sagte Wilhelm, indem wir sie so zärtlich lie¬ ben und offenbar übersehen; aber bey unsers Gleichen, für die uns nicht immer das Herz so laut um Schonung anruft, möchte es oft gefährlich werden. Doch glauben Sie nicht, fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort, daß ich deswegen diesen Auftrag ablehne. Bey der Ehrfurcht, die mir Ihr Verstand einflößt, bey der Neigung, die ich für Ihren trefflichen Freund fühle, bey dem lebhaften Wunsch, seine Genesung, durch welche Mit¬ tel sie auch möglich sey, zu befördern, mag
nem Leben, daß ich jemanden auf dieſe Weiſe hintergehe. Denn ich habe immer geglaubt, daß es uns zu weit führen könne, wenn wir einmal um des Guten und Nützlichen willen zu betrügen anfangen.
Können wir doch Kinder nicht anders er¬ ziehen, als auf dieſe Weiſe, verſetzte Jarno.
Bey Kindern möchte es noch hingehen, ſagte Wilhelm, indem wir ſie ſo zärtlich lie¬ ben und offenbar überſehen; aber bey unſers Gleichen, für die uns nicht immer das Herz ſo laut um Schonung anruft, möchte es oft gefährlich werden. Doch glauben Sie nicht, fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort, daß ich deswegen dieſen Auftrag ablehne. Bey der Ehrfurcht, die mir Ihr Verſtand einflößt, bey der Neigung, die ich für Ihren trefflichen Freund fühle, bey dem lebhaften Wunſch, ſeine Geneſung, durch welche Mit¬ tel ſie auch möglich ſey, zu befördern, mag
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0059"n="55"/>
nem Leben, daß ich jemanden auf dieſe Weiſe<lb/>
hintergehe. Denn ich habe immer geglaubt,<lb/>
daß es uns zu weit führen könne, wenn wir<lb/>
einmal um des Guten und Nützlichen willen<lb/>
zu betrügen anfangen.</p><lb/><p>Können wir doch Kinder nicht anders er¬<lb/>
ziehen, als auf dieſe Weiſe, verſetzte Jarno.</p><lb/><p>Bey Kindern möchte es noch hingehen,<lb/>ſagte Wilhelm, indem wir ſie ſo zärtlich lie¬<lb/>
ben und offenbar überſehen; aber bey unſers<lb/>
Gleichen, für die uns nicht immer das Herz<lb/>ſo laut um Schonung anruft, möchte es oft<lb/>
gefährlich werden. Doch glauben Sie nicht,<lb/>
fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort,<lb/>
daß ich deswegen dieſen Auftrag ablehne.<lb/>
Bey der Ehrfurcht, die mir Ihr Verſtand<lb/>
einflößt, bey der Neigung, die ich für Ihren<lb/>
trefflichen Freund fühle, bey dem lebhaften<lb/>
Wunſch, ſeine Geneſung, durch welche Mit¬<lb/>
tel ſie auch möglich ſey, zu befördern, mag<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[55/0059]
nem Leben, daß ich jemanden auf dieſe Weiſe
hintergehe. Denn ich habe immer geglaubt,
daß es uns zu weit führen könne, wenn wir
einmal um des Guten und Nützlichen willen
zu betrügen anfangen.
Können wir doch Kinder nicht anders er¬
ziehen, als auf dieſe Weiſe, verſetzte Jarno.
Bey Kindern möchte es noch hingehen,
ſagte Wilhelm, indem wir ſie ſo zärtlich lie¬
ben und offenbar überſehen; aber bey unſers
Gleichen, für die uns nicht immer das Herz
ſo laut um Schonung anruft, möchte es oft
gefährlich werden. Doch glauben Sie nicht,
fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort,
daß ich deswegen dieſen Auftrag ablehne.
Bey der Ehrfurcht, die mir Ihr Verſtand
einflößt, bey der Neigung, die ich für Ihren
trefflichen Freund fühle, bey dem lebhaften
Wunſch, ſeine Geneſung, durch welche Mit¬
tel ſie auch möglich ſey, zu befördern, mag
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/59>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.