beyder Geschlechter ausgebildete und entwickelte Augen seyen. Fassen wir diesen Begriff fest, und betrachten in diesem Sinne mehrere Pflanzen, ihren Wachs- thum und Fruchtstände, so wird der Augenschein bey einiger Vergleichung uns am besten überzeugen.
§. 101.
Es wird uns sodann auch nicht schwer seyn, den Fruchtstand der in der Mitte einer einzelnen Blume, oft um eine Spindel versammleten, bedeck- ten oder unbedeckten Samen zu erklären. Denn es ist ganz einerley, ob eine einzelne Blume einen gemeinsamen Fruchtstand umgiebt, und die zusam- mengewachsenen Pistille von den Antheren der Blume die Zeugungssäfte einsaugen und sie den Samenkörnern einflössen, oder ob ein jedes Samen- korn sein eigenes Pistill, seine eigenen Antheren, seine eigene Kronenblätter um sich habe.
§. 102.
Wir sind überzeugt dass mit einiger Uebung es nicht schwer sey, sich auf diesem Wege die manigfaltigen Gestalten der Blumen und Früchte zu erklären; nur wird freylich dazu erfordert,
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beyder Geſchlechter ausgebildete und entwickelte Augen ſeyen. Faſsen wir dieſen Begriff feſt, und betrachten in dieſem Sinne mehrere Pflanzen, ihren Wachs- thum und Fruchtſtände, ſo wird der Augenſchein bey einiger Vergleichung uns am beſten überzeugen.
§. 101.
Es wird uns ſodann auch nicht ſchwer ſeyn, den Fruchtſtand der in der Mitte einer einzelnen Blume, oft um eine Spindel verſammleten, bedeck- ten oder unbedeckten Samen zu erklären. Denn es iſt ganz einerley, ob eine einzelne Blume einen gemeinſamen Fruchtſtand umgiebt, und die zuſam- mengewachſenen Piſtille von den Antheren der Blume die Zeugungsſäfte einſaugen und ſie den Samenkörnern einflöſsen, oder ob ein jedes Samen- korn ſein eigenes Piſtill, ſeine eigenen Antheren, ſeine eigene Kronenblätter um ſich habe.
§. 102.
Wir ſind überzeugt daſs mit einiger Uebung es nicht ſchwer ſey, ſich auf dieſem Wege die manigfaltigen Geſtalten der Blumen und Früchte zu erklären; nur wird freylich dazu erfordert,
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beyder Geſchlechter ausgebildete und entwickelte Augen
ſeyen. Faſsen wir dieſen Begriff feſt, und betrachten
in dieſem Sinne mehrere Pflanzen, ihren Wachs-
thum und Fruchtſtände, ſo wird der Augenſchein
bey einiger Vergleichung uns am beſten überzeugen.
§. 101.
Es wird uns ſodann auch nicht ſchwer ſeyn,
den Fruchtſtand der in der Mitte einer einzelnen
Blume, oft um eine Spindel verſammleten, bedeck-
ten oder unbedeckten Samen zu erklären. Denn
es iſt ganz einerley, ob eine einzelne Blume einen
gemeinſamen Fruchtſtand umgiebt, und die zuſam-
mengewachſenen Piſtille von den Antheren der
Blume die Zeugungsſäfte einſaugen und ſie den
Samenkörnern einflöſsen, oder ob ein jedes Samen-
korn ſein eigenes Piſtill, ſeine eigenen Antheren,
ſeine eigene Kronenblätter um ſich habe.
§. 102.
Wir ſind überzeugt daſs mit einiger Uebung
es nicht ſchwer ſey, ſich auf dieſem Wege die
manigfaltigen Geſtalten der Blumen und Früchte
zu erklären; nur wird freylich dazu erfordert,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Es existieren zwei Drucke des "Versuchs" von 1790… [mehr]
Es existieren zwei Drucke des "Versuchs" von 1790. Nach Waltraud Hagen (Die Drucke von Goethes Werken) umfassen diese in der Erstausgabe (Hagen S. 211) 86 Seiten und in einer zweiten Ausgabe aus dem gleichen Jahr (Hagen S. 212) 79 Seiten. Für das Deutsche Textarchiv wurde die 86-seitige Ausgabe zu grunde gelegte.
Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/82>, abgerufen am 19.02.2025.
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