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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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das letzte Schweben der Vögel, das Blinken
und Wiederblinken der ersten Sterne, alles
hatte etwas Geisterhaftes in dieser allgemeinen
Stille. Es schien ihr, der Freund führe sie
weit weg, um sie auszusetzen, sie allein zu
lassen. Eine wunderbare Bewegung war in
ihrem Innern, und sie konnte nicht weinen.

Der Hauptmann beschrieb ihr unterdessen,
wie nach seiner Absicht die Anlagen werden
sollten. Er rühmte die guten Eigenschaften
des Kahns, daß er sich leicht mit zwey Ru¬
dern von Einer Person bewegen und regieren
lasse. Sie werde das selbst lernen, es sey
eine angenehme Empfindung manchmal allein
auf dem Wasser hinzuschwimmen und sein
eigner Fähr- und Steuermann zu seyn.

Bey diesen Worten fiel der Freundinn die
bevorstehende Trennung aufs Herz. Sagt er
das mit Vorsatz? dachte sie bey sich selbst:
Weiß er schon davon? vermuthet er's? oder

das letzte Schweben der Voͤgel, das Blinken
und Wiederblinken der erſten Sterne, alles
hatte etwas Geiſterhaftes in dieſer allgemeinen
Stille. Es ſchien ihr, der Freund fuͤhre ſie
weit weg, um ſie auszuſetzen, ſie allein zu
laſſen. Eine wunderbare Bewegung war in
ihrem Innern, und ſie konnte nicht weinen.

Der Hauptmann beſchrieb ihr unterdeſſen,
wie nach ſeiner Abſicht die Anlagen werden
ſollten. Er ruͤhmte die guten Eigenſchaften
des Kahns, daß er ſich leicht mit zwey Ru¬
dern von Einer Perſon bewegen und regieren
laſſe. Sie werde das ſelbſt lernen, es ſey
eine angenehme Empfindung manchmal allein
auf dem Waſſer hinzuſchwimmen und ſein
eigner Faͤhr- und Steuermann zu ſeyn.

Bey dieſen Worten fiel der Freundinn die
bevorſtehende Trennung aufs Herz. Sagt er
das mit Vorſatz? dachte ſie bey ſich ſelbſt:
Weiß er ſchon davon? vermuthet er's? oder

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[217/0222] das letzte Schweben der Voͤgel, das Blinken und Wiederblinken der erſten Sterne, alles hatte etwas Geiſterhaftes in dieſer allgemeinen Stille. Es ſchien ihr, der Freund fuͤhre ſie weit weg, um ſie auszuſetzen, ſie allein zu laſſen. Eine wunderbare Bewegung war in ihrem Innern, und ſie konnte nicht weinen. Der Hauptmann beſchrieb ihr unterdeſſen, wie nach ſeiner Abſicht die Anlagen werden ſollten. Er ruͤhmte die guten Eigenſchaften des Kahns, daß er ſich leicht mit zwey Ru¬ dern von Einer Perſon bewegen und regieren laſſe. Sie werde das ſelbſt lernen, es ſey eine angenehme Empfindung manchmal allein auf dem Waſſer hinzuſchwimmen und ſein eigner Faͤhr- und Steuermann zu ſeyn. Bey dieſen Worten fiel der Freundinn die bevorſtehende Trennung aufs Herz. Sagt er das mit Vorſatz? dachte ſie bey ſich ſelbſt: Weiß er ſchon davon? vermuthet er's? oder

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/222>, abgerufen am 17.05.2024.