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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬
durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.
Sie erklären sich wechselseitig über Eduards Lei¬
denschaft; sie berathen sich darüber. Charlotte
schließt Ottilien näher an sich, beobachtet sie
strenger, und jemehr sie ihr eigen Herz gewahr
worden, desto tiefer blickt sie in das Herz
des Mädchens. Sie sieht keine Rettung,
als sie muß das Kind entfernen.

Nun scheint es ihr eine glückliche Fügung,
daß Luciane ein so ausgezeichnetes Lob in der
Pension erhalten: denn die Großtante, davon
unterrichtet, will sie nun ein für allemal zu
sich nehmen, sie um sich haben, sie in die
Welt einführen. Ottilie konnte in die Pen¬
sion zurückkehren; der Hauptmann entfernte
sich, wohlversorgt; und alles stand wie vor
wenigen Monaten, ja um so viel besser. Ihr
eigenes Verhältniß hoffte Charlotte zu Eduard
bald wieder herzustellen, und sie legte das al¬
les so verständig bey sich zurecht, daß sie sich

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gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬
durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.
Sie erklaͤren ſich wechſelſeitig uͤber Eduards Lei¬
denſchaft; ſie berathen ſich daruͤber. Charlotte
ſchließt Ottilien naͤher an ſich, beobachtet ſie
ſtrenger, und jemehr ſie ihr eigen Herz gewahr
worden, deſto tiefer blickt ſie in das Herz
des Maͤdchens. Sie ſieht keine Rettung,
als ſie muß das Kind entfernen.

Nun ſcheint es ihr eine gluͤckliche Fuͤgung,
daß Luciane ein ſo ausgezeichnetes Lob in der
Penſion erhalten: denn die Großtante, davon
unterrichtet, will ſie nun ein fuͤr allemal zu
ſich nehmen, ſie um ſich haben, ſie in die
Welt einfuͤhren. Ottilie konnte in die Pen¬
ſion zuruͤckkehren; der Hauptmann entfernte
ſich, wohlverſorgt; und alles ſtand wie vor
wenigen Monaten, ja um ſo viel beſſer. Ihr
eigenes Verhaͤltniß hoffte Charlotte zu Eduard
bald wieder herzuſtellen, und ſie legte das al¬
les ſo verſtaͤndig bey ſich zurecht, daß ſie ſich

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[227/0232] gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬ durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt. Sie erklaͤren ſich wechſelſeitig uͤber Eduards Lei¬ denſchaft; ſie berathen ſich daruͤber. Charlotte ſchließt Ottilien naͤher an ſich, beobachtet ſie ſtrenger, und jemehr ſie ihr eigen Herz gewahr worden, deſto tiefer blickt ſie in das Herz des Maͤdchens. Sie ſieht keine Rettung, als ſie muß das Kind entfernen. Nun ſcheint es ihr eine gluͤckliche Fuͤgung, daß Luciane ein ſo ausgezeichnetes Lob in der Penſion erhalten: denn die Großtante, davon unterrichtet, will ſie nun ein fuͤr allemal zu ſich nehmen, ſie um ſich haben, ſie in die Welt einfuͤhren. Ottilie konnte in die Pen¬ ſion zuruͤckkehren; der Hauptmann entfernte ſich, wohlverſorgt; und alles ſtand wie vor wenigen Monaten, ja um ſo viel beſſer. Ihr eigenes Verhaͤltniß hoffte Charlotte zu Eduard bald wieder herzuſtellen, und ſie legte das al¬ les ſo verſtaͤndig bey ſich zurecht, daß ſie ſich 15 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/232>, abgerufen am 21.05.2024.