Wiederreden, dießmal aus seiner Rolle her¬ auszugehen, und statt des Vermittlers den Vertrauten zu spielen.
Als er hiernach, auf eine freundliche Weise, Eduarden wegen seines einsamen Le¬ bens tadelte, erwiederte dieser: O ich wüßte nicht, wie ich meine Zeit angenehmer zubrin¬ gen sollte! Immer bin ich mit ihr beschäftigt, immer in ihrer Nähe. Ich habe den unschätz¬ baren Vortheil mir denken zu können, wo sich Ottilie befindet, wo sie geht, wo sie steht, wo sie ausruht. Ich sehe sie vor mir thun und handeln wie gewöhnlich, schaffen und vornehmen, freylich immer das was mir am meisten schmeichelt. Dabey bleibt es aber nicht: denn wie kann ich fern von ihr glück¬ lich seyn! Nun arbeitet meine Phantasie durch, was Ottilie thun sollte sich mir zu nähern. Ich schreibe süße zutrauliche Briefe in ihrem Namen an mich; ich antworte ihr und ver¬ wahre die Blätter zusammen. Ich habe ver¬
19 *
Wiederreden, dießmal aus ſeiner Rolle her¬ auszugehen, und ſtatt des Vermittlers den Vertrauten zu ſpielen.
Als er hiernach, auf eine freundliche Weiſe, Eduarden wegen ſeines einſamen Le¬ bens tadelte, erwiederte dieſer: O ich wuͤßte nicht, wie ich meine Zeit angenehmer zubrin¬ gen ſollte! Immer bin ich mit ihr beſchaͤftigt, immer in ihrer Naͤhe. Ich habe den unſchaͤtz¬ baren Vortheil mir denken zu koͤnnen, wo ſich Ottilie befindet, wo ſie geht, wo ſie ſteht, wo ſie ausruht. Ich ſehe ſie vor mir thun und handeln wie gewoͤhnlich, ſchaffen und vornehmen, freylich immer das was mir am meiſten ſchmeichelt. Dabey bleibt es aber nicht: denn wie kann ich fern von ihr gluͤck¬ lich ſeyn! Nun arbeitet meine Phantaſie durch, was Ottilie thun ſollte ſich mir zu naͤhern. Ich ſchreibe ſuͤße zutrauliche Briefe in ihrem Namen an mich; ich antworte ihr und ver¬ wahre die Blaͤtter zuſammen. Ich habe ver¬
19 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0296"n="291"/>
Wiederreden, dießmal aus ſeiner Rolle her¬<lb/>
auszugehen, und ſtatt des Vermittlers den<lb/>
Vertrauten zu ſpielen.</p><lb/><p>Als er hiernach, auf eine freundliche<lb/>
Weiſe, Eduarden wegen ſeines einſamen Le¬<lb/>
bens tadelte, erwiederte dieſer: O ich wuͤßte<lb/>
nicht, wie ich meine Zeit angenehmer zubrin¬<lb/>
gen ſollte! Immer bin ich mit ihr beſchaͤftigt,<lb/>
immer in ihrer Naͤhe. Ich habe den unſchaͤtz¬<lb/>
baren Vortheil mir denken zu koͤnnen, wo<lb/>ſich Ottilie befindet, wo ſie geht, wo ſie ſteht,<lb/>
wo ſie ausruht. Ich ſehe ſie vor mir thun<lb/>
und handeln wie gewoͤhnlich, ſchaffen und<lb/>
vornehmen, freylich immer das was mir am<lb/>
meiſten ſchmeichelt. Dabey bleibt es aber<lb/>
nicht: denn wie kann ich fern von ihr gluͤck¬<lb/>
lich ſeyn! Nun arbeitet meine Phantaſie durch,<lb/>
was Ottilie thun ſollte ſich mir zu naͤhern.<lb/>
Ich ſchreibe ſuͤße zutrauliche Briefe in ihrem<lb/>
Namen an mich; ich antworte ihr und ver¬<lb/>
wahre die Blaͤtter zuſammen. Ich habe ver¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">19 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[291/0296]
Wiederreden, dießmal aus ſeiner Rolle her¬
auszugehen, und ſtatt des Vermittlers den
Vertrauten zu ſpielen.
Als er hiernach, auf eine freundliche
Weiſe, Eduarden wegen ſeines einſamen Le¬
bens tadelte, erwiederte dieſer: O ich wuͤßte
nicht, wie ich meine Zeit angenehmer zubrin¬
gen ſollte! Immer bin ich mit ihr beſchaͤftigt,
immer in ihrer Naͤhe. Ich habe den unſchaͤtz¬
baren Vortheil mir denken zu koͤnnen, wo
ſich Ottilie befindet, wo ſie geht, wo ſie ſteht,
wo ſie ausruht. Ich ſehe ſie vor mir thun
und handeln wie gewoͤhnlich, ſchaffen und
vornehmen, freylich immer das was mir am
meiſten ſchmeichelt. Dabey bleibt es aber
nicht: denn wie kann ich fern von ihr gluͤck¬
lich ſeyn! Nun arbeitet meine Phantaſie durch,
was Ottilie thun ſollte ſich mir zu naͤhern.
Ich ſchreibe ſuͤße zutrauliche Briefe in ihrem
Namen an mich; ich antworte ihr und ver¬
wahre die Blaͤtter zuſammen. Ich habe ver¬
19 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/296>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.