Gesellschaft, gesucht von Frauen, wendete ihr seine ganze Neigung zu. Es war das erste¬ mal, daß sich ein Freund, ein Liebhaber, ein Diener um sie bemühte. Der Vorzug den er ihr vor vielen gab, die älter, gebildeter, glänzender und anspruchsreicher waren als sie, that ihr gar zu wohl. Seine fortgesetzte Aufmerksamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬ wesen wäre, sein treuer Beystand bey verschie¬ denen unangenehmen Zufällen, sein gegen ihre Aeltern zwar ausgesprochnes, doch ruhiges und nur hoffnungsvolles Werben, da sie frey¬ lich noch sehr jung war: das alles nahm sie für ihn ein, wozu die Gewohnheit, die äu¬ ßern nun von der Welt als bekannt ange¬ nommenen Verhältnisse, das ihrige beytru¬ gen. Sie war so oft Braut genannt wor¬ den, daß sie sich endlich selbst dafür hielt, und weder sie noch irgend Jemand dachte dar¬ an, daß noch eine Prüfung nöthig sey, als sie den Ring mit demjenigen wechselte, der so lange Zeit für ihren Bräutigam galt.
Geſellſchaft, geſucht von Frauen, wendete ihr ſeine ganze Neigung zu. Es war das erſte¬ mal, daß ſich ein Freund, ein Liebhaber, ein Diener um ſie bemuͤhte. Der Vorzug den er ihr vor vielen gab, die aͤlter, gebildeter, glaͤnzender und anſpruchsreicher waren als ſie, that ihr gar zu wohl. Seine fortgeſetzte Aufmerkſamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬ weſen waͤre, ſein treuer Beyſtand bey verſchie¬ denen unangenehmen Zufaͤllen, ſein gegen ihre Aeltern zwar ausgeſprochnes, doch ruhiges und nur hoffnungsvolles Werben, da ſie frey¬ lich noch ſehr jung war: das alles nahm ſie fuͤr ihn ein, wozu die Gewohnheit, die aͤu¬ ßern nun von der Welt als bekannt ange¬ nommenen Verhaͤltniſſe, das ihrige beytru¬ gen. Sie war ſo oft Braut genannt wor¬ den, daß ſie ſich endlich ſelbſt dafuͤr hielt, und weder ſie noch irgend Jemand dachte dar¬ an, daß noch eine Pruͤfung noͤthig ſey, als ſie den Ring mit demjenigen wechſelte, der ſo lange Zeit fuͤr ihren Braͤutigam galt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0204"n="201"/>
Geſellſchaft, geſucht von Frauen, wendete ihr<lb/>ſeine ganze Neigung zu. Es war das erſte¬<lb/>
mal, daß ſich ein Freund, ein Liebhaber, ein<lb/>
Diener um ſie bemuͤhte. Der Vorzug den<lb/>
er ihr vor vielen gab, die aͤlter, gebildeter,<lb/>
glaͤnzender und anſpruchsreicher waren als ſie,<lb/>
that ihr gar zu wohl. Seine fortgeſetzte<lb/>
Aufmerkſamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬<lb/>
weſen waͤre, ſein treuer Beyſtand bey verſchie¬<lb/>
denen unangenehmen Zufaͤllen, ſein gegen ihre<lb/>
Aeltern zwar ausgeſprochnes, doch ruhiges<lb/>
und nur hoffnungsvolles Werben, da ſie frey¬<lb/>
lich noch ſehr jung war: das alles nahm ſie<lb/>
fuͤr ihn ein, wozu die Gewohnheit, die aͤu¬<lb/>
ßern nun von der Welt als bekannt ange¬<lb/>
nommenen Verhaͤltniſſe, das ihrige beytru¬<lb/>
gen. Sie war ſo oft Braut genannt wor¬<lb/>
den, daß ſie ſich endlich ſelbſt dafuͤr hielt,<lb/>
und weder ſie noch irgend Jemand dachte dar¬<lb/>
an, daß noch eine Pruͤfung noͤthig ſey, als<lb/>ſie den Ring mit demjenigen wechſelte, der<lb/>ſo lange Zeit fuͤr ihren Braͤutigam galt.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[201/0204]
Geſellſchaft, geſucht von Frauen, wendete ihr
ſeine ganze Neigung zu. Es war das erſte¬
mal, daß ſich ein Freund, ein Liebhaber, ein
Diener um ſie bemuͤhte. Der Vorzug den
er ihr vor vielen gab, die aͤlter, gebildeter,
glaͤnzender und anſpruchsreicher waren als ſie,
that ihr gar zu wohl. Seine fortgeſetzte
Aufmerkſamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬
weſen waͤre, ſein treuer Beyſtand bey verſchie¬
denen unangenehmen Zufaͤllen, ſein gegen ihre
Aeltern zwar ausgeſprochnes, doch ruhiges
und nur hoffnungsvolles Werben, da ſie frey¬
lich noch ſehr jung war: das alles nahm ſie
fuͤr ihn ein, wozu die Gewohnheit, die aͤu¬
ßern nun von der Welt als bekannt ange¬
nommenen Verhaͤltniſſe, das ihrige beytru¬
gen. Sie war ſo oft Braut genannt wor¬
den, daß ſie ſich endlich ſelbſt dafuͤr hielt,
und weder ſie noch irgend Jemand dachte dar¬
an, daß noch eine Pruͤfung noͤthig ſey, als
ſie den Ring mit demjenigen wechſelte, der
ſo lange Zeit fuͤr ihren Braͤutigam galt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/204>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.