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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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ger Feder setzte er noch hinzu: Ich höre dich
kommen. Auf einen Augenblick leb wohl!

Er faltete den Brief, überschrieb ihn; zum
Siegeln war es zu spät. Er sprang in die
Kammer, durch die er nachher auf den Gang
zu gelangen wußte, und Augenblicks fiel ihm
ein, daß er die Uhr mit dem Petschaft noch
auf dem Tisch gelassen. Sie sollte diese nicht
zuerst sehen; er sprang zurück und hohlte sie
glücklich weg. Vom Vorsaal her vernahm er
schon die Wirthinn, die auf das Zimmer los¬
ging, um es dem Gast anzuweisen. Er eilte
gegen die Kammerthür, aber sie war zugefah¬
ren. Den Schlüssel hatte er beym Hinein¬
springen herunter geworfen, der lag inwendig;
das Schloß war zugeschnappt und er stund
gebannt. Heftig drängte er an der Thüre;
sie gab nicht nach. O wie hätte er gewünscht
als ein Geist durch die Spalten zu schlüpfen!
Vergebens! Er verbarg sein Gesicht an den
Thürpfosten. Ottilie trat herein, die Wir¬

ger Feder ſetzte er noch hinzu: Ich hoͤre dich
kommen. Auf einen Augenblick leb wohl!

Er faltete den Brief, uͤberſchrieb ihn; zum
Siegeln war es zu ſpaͤt. Er ſprang in die
Kammer, durch die er nachher auf den Gang
zu gelangen wußte, und Augenblicks fiel ihm
ein, daß er die Uhr mit dem Petſchaft noch
auf dem Tiſch gelaſſen. Sie ſollte dieſe nicht
zuerſt ſehen; er ſprang zuruͤck und hohlte ſie
gluͤcklich weg. Vom Vorſaal her vernahm er
ſchon die Wirthinn, die auf das Zimmer los¬
ging, um es dem Gaſt anzuweiſen. Er eilte
gegen die Kammerthuͤr, aber ſie war zugefah¬
ren. Den Schluͤſſel hatte er beym Hinein¬
ſpringen herunter geworfen, der lag inwendig;
das Schloß war zugeſchnappt und er ſtund
gebannt. Heftig draͤngte er an der Thuͤre;
ſie gab nicht nach. O wie haͤtte er gewuͤnſcht
als ein Geiſt durch die Spalten zu ſchluͤpfen!
Vergebens! Er verbarg ſein Geſicht an den
Thuͤrpfoſten. Ottilie trat herein, die Wir¬

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[295/0298] ger Feder ſetzte er noch hinzu: Ich hoͤre dich kommen. Auf einen Augenblick leb wohl! Er faltete den Brief, uͤberſchrieb ihn; zum Siegeln war es zu ſpaͤt. Er ſprang in die Kammer, durch die er nachher auf den Gang zu gelangen wußte, und Augenblicks fiel ihm ein, daß er die Uhr mit dem Petſchaft noch auf dem Tiſch gelaſſen. Sie ſollte dieſe nicht zuerſt ſehen; er ſprang zuruͤck und hohlte ſie gluͤcklich weg. Vom Vorſaal her vernahm er ſchon die Wirthinn, die auf das Zimmer los¬ ging, um es dem Gaſt anzuweiſen. Er eilte gegen die Kammerthuͤr, aber ſie war zugefah¬ ren. Den Schluͤſſel hatte er beym Hinein¬ ſpringen herunter geworfen, der lag inwendig; das Schloß war zugeſchnappt und er ſtund gebannt. Heftig draͤngte er an der Thuͤre; ſie gab nicht nach. O wie haͤtte er gewuͤnſcht als ein Geiſt durch die Spalten zu ſchluͤpfen! Vergebens! Er verbarg ſein Geſicht an den Thuͤrpfoſten. Ottilie trat herein, die Wir¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/298>, abgerufen am 24.11.2024.