Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesellinn bleiben und der zum erstenmal an¬
gezündeten Lampe fleißig warten. Sie ver¬
langte dieß so eifrig und hartnäckig, daß man
ihr nachgab, um ein größeres Gemüthsübel
das sich befürchten ließ, zu verhüthen.

Aber sie blieb nicht lange allein: denn
gleich mit sinkender Nacht, als das schwebende
Licht sein volles Recht ausübend einen helleren
Schein verbreitete, öffnete sich die Thüre und
es trat der Architect in die Capelle, deren
fromm verzierte Wände, bey so mildem Schim¬
mer, alterthümlicher und ahndungsvoller, als
er je hätte glauben können, ihm entgegen
drangen.

Nanny saß an der einen Seite des Sar¬
ges. Sie erkannte ihn gleich; aber schwei¬
gend deutete sie auf die verblichene Herrinn.
Und so stand er auf der andern Seite, in
jugendlicher Kraft und Anmuth, auf sich selbst
zurückgewiesen, starr, in sich gekehrt, mit nie¬

Geſellinn bleiben und der zum erſtenmal an¬
gezuͤndeten Lampe fleißig warten. Sie ver¬
langte dieß ſo eifrig und hartnaͤckig, daß man
ihr nachgab, um ein groͤßeres Gemuͤthsuͤbel
das ſich befuͤrchten ließ, zu verhuͤthen.

Aber ſie blieb nicht lange allein: denn
gleich mit ſinkender Nacht, als das ſchwebende
Licht ſein volles Recht ausuͤbend einen helleren
Schein verbreitete, oͤffnete ſich die Thuͤre und
es trat der Architect in die Capelle, deren
fromm verzierte Waͤnde, bey ſo mildem Schim¬
mer, alterthuͤmlicher und ahndungsvoller, als
er je haͤtte glauben koͤnnen, ihm entgegen
drangen.

Nanny ſaß an der einen Seite des Sar¬
ges. Sie erkannte ihn gleich; aber ſchwei¬
gend deutete ſie auf die verblichene Herrinn.
Und ſo ſtand er auf der andern Seite, in
jugendlicher Kraft und Anmuth, auf ſich ſelbſt
zuruͤckgewieſen, ſtarr, in ſich gekehrt, mit nie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0334" n="331"/>
Ge&#x017F;ellinn bleiben und der zum er&#x017F;tenmal an¬<lb/>
gezu&#x0364;ndeten Lampe fleißig warten. Sie ver¬<lb/>
langte dieß &#x017F;o eifrig und hartna&#x0364;ckig, daß man<lb/>
ihr nachgab, um ein gro&#x0364;ßeres Gemu&#x0364;thsu&#x0364;bel<lb/>
das &#x017F;ich befu&#x0364;rchten ließ, zu verhu&#x0364;then.</p><lb/>
        <p>Aber &#x017F;ie blieb nicht lange allein: denn<lb/>
gleich mit &#x017F;inkender Nacht, als das &#x017F;chwebende<lb/>
Licht &#x017F;ein volles Recht ausu&#x0364;bend einen helleren<lb/>
Schein verbreitete, o&#x0364;ffnete &#x017F;ich die Thu&#x0364;re und<lb/>
es trat der Architect in die Capelle, deren<lb/>
fromm verzierte Wa&#x0364;nde, bey &#x017F;o mildem Schim¬<lb/>
mer, alterthu&#x0364;mlicher und ahndungsvoller, als<lb/>
er je ha&#x0364;tte glauben ko&#x0364;nnen, ihm entgegen<lb/>
drangen.</p><lb/>
        <p>Nanny &#x017F;aß an der einen Seite des Sar¬<lb/>
ges. Sie erkannte ihn gleich; aber &#x017F;chwei¬<lb/>
gend deutete &#x017F;ie auf die verblichene Herrinn.<lb/>
Und &#x017F;o &#x017F;tand er auf der andern Seite, in<lb/>
jugendlicher Kraft und Anmuth, auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zuru&#x0364;ckgewie&#x017F;en, &#x017F;tarr, in &#x017F;ich gekehrt, mit nie¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0334] Geſellinn bleiben und der zum erſtenmal an¬ gezuͤndeten Lampe fleißig warten. Sie ver¬ langte dieß ſo eifrig und hartnaͤckig, daß man ihr nachgab, um ein groͤßeres Gemuͤthsuͤbel das ſich befuͤrchten ließ, zu verhuͤthen. Aber ſie blieb nicht lange allein: denn gleich mit ſinkender Nacht, als das ſchwebende Licht ſein volles Recht ausuͤbend einen helleren Schein verbreitete, oͤffnete ſich die Thuͤre und es trat der Architect in die Capelle, deren fromm verzierte Waͤnde, bey ſo mildem Schim¬ mer, alterthuͤmlicher und ahndungsvoller, als er je haͤtte glauben koͤnnen, ihm entgegen drangen. Nanny ſaß an der einen Seite des Sar¬ ges. Sie erkannte ihn gleich; aber ſchwei¬ gend deutete ſie auf die verblichene Herrinn. Und ſo ſtand er auf der andern Seite, in jugendlicher Kraft und Anmuth, auf ſich ſelbſt zuruͤckgewieſen, ſtarr, in ſich gekehrt, mit nie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/334
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/334>, abgerufen am 21.11.2024.