der Bräutigam hätte sich seiner Schwieger¬ mutter gern genähert, um ihr seine Liebe, sei¬ nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane konnte nicht rasten. Sie war nun einmal zu dem Glücke gelangt, ein Pferd besteigen zu dürfen. Der Bräutigam hatte schöne Pferde, und sogleich mußte man aufsitzen. Wetter und Wind, Regen und Sturm kamen nicht in Anschlag; es war als wenn man nur lebte um naß zu werden und sich wieder zu trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬ gehen, so fragte sie nicht, was für Kleider sie anhatte und wie sie beschuht war; sie mußte die Anlagen besichtigen von denen sie vieles gehört hatte. Was nicht zu Pferde geschehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt. Bald hatte sie alles gesehen und abgeurtheilt. Bey der Schnelligkeit ihres Wesens war ihr nicht leicht zu widersprechen. Die Gesellschaft hatte manches zu leiden, am meisten aber die Kammermädchen, die mit Waschen und Bü¬
der Braͤutigam haͤtte ſich ſeiner Schwieger¬ mutter gern genaͤhert, um ihr ſeine Liebe, ſei¬ nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane konnte nicht raſten. Sie war nun einmal zu dem Gluͤcke gelangt, ein Pferd beſteigen zu duͤrfen. Der Braͤutigam hatte ſchoͤne Pferde, und ſogleich mußte man aufſitzen. Wetter und Wind, Regen und Sturm kamen nicht in Anſchlag; es war als wenn man nur lebte um naß zu werden und ſich wieder zu trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬ gehen, ſo fragte ſie nicht, was fuͤr Kleider ſie anhatte und wie ſie beſchuht war; ſie mußte die Anlagen beſichtigen von denen ſie vieles gehoͤrt hatte. Was nicht zu Pferde geſchehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt. Bald hatte ſie alles geſehen und abgeurtheilt. Bey der Schnelligkeit ihres Weſens war ihr nicht leicht zu widerſprechen. Die Geſellſchaft hatte manches zu leiden, am meiſten aber die Kammermaͤdchen, die mit Waſchen und Buͤ¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0053"n="50"/>
der Braͤutigam haͤtte ſich ſeiner Schwieger¬<lb/>
mutter gern genaͤhert, um ihr ſeine Liebe, ſei¬<lb/>
nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane<lb/>
konnte nicht raſten. Sie war nun einmal zu<lb/>
dem Gluͤcke gelangt, ein Pferd beſteigen zu<lb/>
duͤrfen. Der Braͤutigam hatte ſchoͤne Pferde,<lb/>
und ſogleich mußte man aufſitzen. Wetter<lb/>
und Wind, Regen und Sturm kamen nicht<lb/>
in Anſchlag; es war als wenn man nur<lb/>
lebte um naß zu werden und ſich wieder zu<lb/>
trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬<lb/>
gehen, ſo fragte ſie nicht, was fuͤr Kleider<lb/>ſie anhatte und wie ſie beſchuht war; ſie<lb/>
mußte die Anlagen beſichtigen von denen ſie<lb/>
vieles gehoͤrt hatte. Was nicht zu Pferde<lb/>
geſchehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt.<lb/>
Bald hatte ſie alles geſehen und abgeurtheilt.<lb/>
Bey der Schnelligkeit ihres Weſens war ihr<lb/>
nicht leicht zu widerſprechen. Die Geſellſchaft<lb/>
hatte manches zu leiden, am meiſten aber die<lb/>
Kammermaͤdchen, die mit Waſchen und Buͤ¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[50/0053]
der Braͤutigam haͤtte ſich ſeiner Schwieger¬
mutter gern genaͤhert, um ihr ſeine Liebe, ſei¬
nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane
konnte nicht raſten. Sie war nun einmal zu
dem Gluͤcke gelangt, ein Pferd beſteigen zu
duͤrfen. Der Braͤutigam hatte ſchoͤne Pferde,
und ſogleich mußte man aufſitzen. Wetter
und Wind, Regen und Sturm kamen nicht
in Anſchlag; es war als wenn man nur
lebte um naß zu werden und ſich wieder zu
trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬
gehen, ſo fragte ſie nicht, was fuͤr Kleider
ſie anhatte und wie ſie beſchuht war; ſie
mußte die Anlagen beſichtigen von denen ſie
vieles gehoͤrt hatte. Was nicht zu Pferde
geſchehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt.
Bald hatte ſie alles geſehen und abgeurtheilt.
Bey der Schnelligkeit ihres Weſens war ihr
nicht leicht zu widerſprechen. Die Geſellſchaft
hatte manches zu leiden, am meiſten aber die
Kammermaͤdchen, die mit Waſchen und Buͤ¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/53>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.