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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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der, welche unter lauter Complimenten, wer
zuerst heiraten sollte, das Alter übereilt hatte;
hier eine kleine junge Frau mit einem großen
alten Manne; dort umgekehrt ein kleiner
munterer Mann und eine unbehülfliche Rie¬
sinn. In dem einen Hause stolperte man
bey jedem Schritte über ein Kind; das andre
wollte ihr bey der größten Gesellschaft nicht
voll erscheinen, weil keine Kinder gegenwärtig
waren. Alte Gatten sollten sich nur schnell
begraben lassen, damit doch wieder einmal
Jemand im Hause zum Lachen käme, da ih¬
nen keine Notherben gegeben waren. Junge
Eheleute sollten reisen, weil das Haushalten
sie gar nicht kleide. Und wie mit den Per¬
sonen, so machte sie es auch mit den Sachen,
mit den Gebäuden, wie mit dem Haus- und
Tischgeräthe. Besonders alle Wandverzierun¬
gen reizten sie zu lustigen Bemerkungen. Von
dem ältesten Hautelißteppich bis zu der neu¬
sten Papiertapete, vom ehrwürdigsten Fami¬
lienbilde bis zum frivolsten neuen Kupferstich,

der, welche unter lauter Complimenten, wer
zuerſt heiraten ſollte, das Alter uͤbereilt hatte;
hier eine kleine junge Frau mit einem großen
alten Manne; dort umgekehrt ein kleiner
munterer Mann und eine unbehuͤlfliche Rie¬
ſinn. In dem einen Hauſe ſtolperte man
bey jedem Schritte uͤber ein Kind; das andre
wollte ihr bey der groͤßten Geſellſchaft nicht
voll erſcheinen, weil keine Kinder gegenwaͤrtig
waren. Alte Gatten ſollten ſich nur ſchnell
begraben laſſen, damit doch wieder einmal
Jemand im Hauſe zum Lachen kaͤme, da ih¬
nen keine Notherben gegeben waren. Junge
Eheleute ſollten reiſen, weil das Haushalten
ſie gar nicht kleide. Und wie mit den Per¬
ſonen, ſo machte ſie es auch mit den Sachen,
mit den Gebaͤuden, wie mit dem Haus- und
Tiſchgeraͤthe. Beſonders alle Wandverzierun¬
gen reizten ſie zu luſtigen Bemerkungen. Von
dem aͤlteſten Hautelißteppich bis zu der neu¬
ſten Papiertapete, vom ehrwuͤrdigſten Fami¬
lienbilde bis zum frivolſten neuen Kupferſtich,

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[76/0079] der, welche unter lauter Complimenten, wer zuerſt heiraten ſollte, das Alter uͤbereilt hatte; hier eine kleine junge Frau mit einem großen alten Manne; dort umgekehrt ein kleiner munterer Mann und eine unbehuͤlfliche Rie¬ ſinn. In dem einen Hauſe ſtolperte man bey jedem Schritte uͤber ein Kind; das andre wollte ihr bey der groͤßten Geſellſchaft nicht voll erſcheinen, weil keine Kinder gegenwaͤrtig waren. Alte Gatten ſollten ſich nur ſchnell begraben laſſen, damit doch wieder einmal Jemand im Hauſe zum Lachen kaͤme, da ih¬ nen keine Notherben gegeben waren. Junge Eheleute ſollten reiſen, weil das Haushalten ſie gar nicht kleide. Und wie mit den Per¬ ſonen, ſo machte ſie es auch mit den Sachen, mit den Gebaͤuden, wie mit dem Haus- und Tiſchgeraͤthe. Beſonders alle Wandverzierun¬ gen reizten ſie zu luſtigen Bemerkungen. Von dem aͤlteſten Hautelißteppich bis zu der neu¬ ſten Papiertapete, vom ehrwuͤrdigſten Fami¬ lienbilde bis zum frivolſten neuen Kupferſtich,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/79>, abgerufen am 21.11.2024.