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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Da du glüklich warst! rief ich aus, schnell
vor mich hin nach der Stadt zu gehend. Da
dir's wohl war wie einem Fisch im Wasser! --
Gott im Himmel! Hast du das zum Schiksaal
der Menschen gemacht, daß sie nicht glüklich sind,
als eh sie zu ihrem Verstande kommen, und wenn
sie ihn wieder verliehren! Elender und auch wie
beneid ich deinen Trübsinn, die Verwirrung dei-
ner Sinne, in der du verschmachtest! Du gehst
hoffnungsvoll aus, deiner Königin Blumen zu
pflükken -- im Winter -- und traurest, da du
keine findest, und begreifst nicht warum, du keine
finden kannst. Und ich -- und ich gehe ohne
Hoffnung ohne Zwek heraus, und kehr wieder heim
wie ich gekommen bin. -- Du wähnst, welcher
Mensch du seyn würdest wenn die Generalstaaten
dich bezahlten. Seliges Geschöpf, das den Man-
gel seiner Glükseligkeit einer irdischen Hinderniß
zuschreiben känn. -- Du fühlst nicht! Du fühlst
nicht! daß in deinem zerstörten Herzen, in deinem
zerrütteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle
Könige der Erde dir nicht helfen können.

Müsse
L 4


Da du gluͤklich warſt! rief ich aus, ſchnell
vor mich hin nach der Stadt zu gehend. Da
dir’s wohl war wie einem Fiſch im Waſſer! —
Gott im Himmel! Haſt du das zum Schikſaal
der Menſchen gemacht, daß ſie nicht gluͤklich ſind,
als eh ſie zu ihrem Verſtande kommen, und wenn
ſie ihn wieder verliehren! Elender und auch wie
beneid ich deinen Truͤbſinn, die Verwirrung dei-
ner Sinne, in der du verſchmachteſt! Du gehſt
hoffnungsvoll aus, deiner Koͤnigin Blumen zu
pfluͤkken — im Winter — und traureſt, da du
keine findeſt, und begreifſt nicht warum, du keine
finden kannſt. Und ich — und ich gehe ohne
Hoffnung ohne Zwek heraus, und kehr wieder heim
wie ich gekommen bin. — Du waͤhnſt, welcher
Menſch du ſeyn wuͤrdeſt wenn die Generalſtaaten
dich bezahlten. Seliges Geſchoͤpf, das den Man-
gel ſeiner Gluͤkſeligkeit einer irdiſchen Hinderniß
zuſchreiben kaͤnn. — Du fuͤhlſt nicht! Du fuͤhlſt
nicht! daß in deinem zerſtoͤrten Herzen, in deinem
zerruͤtteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle
Koͤnige der Erde dir nicht helfen koͤnnen.

Muͤſſe
L 4
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[167/0055] Da du gluͤklich warſt! rief ich aus, ſchnell vor mich hin nach der Stadt zu gehend. Da dir’s wohl war wie einem Fiſch im Waſſer! — Gott im Himmel! Haſt du das zum Schikſaal der Menſchen gemacht, daß ſie nicht gluͤklich ſind, als eh ſie zu ihrem Verſtande kommen, und wenn ſie ihn wieder verliehren! Elender und auch wie beneid ich deinen Truͤbſinn, die Verwirrung dei- ner Sinne, in der du verſchmachteſt! Du gehſt hoffnungsvoll aus, deiner Koͤnigin Blumen zu pfluͤkken — im Winter — und traureſt, da du keine findeſt, und begreifſt nicht warum, du keine finden kannſt. Und ich — und ich gehe ohne Hoffnung ohne Zwek heraus, und kehr wieder heim wie ich gekommen bin. — Du waͤhnſt, welcher Menſch du ſeyn wuͤrdeſt wenn die Generalſtaaten dich bezahlten. Seliges Geſchoͤpf, das den Man- gel ſeiner Gluͤkſeligkeit einer irdiſchen Hinderniß zuſchreiben kaͤnn. — Du fuͤhlſt nicht! Du fuͤhlſt nicht! daß in deinem zerſtoͤrten Herzen, in deinem zerruͤtteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle Koͤnige der Erde dir nicht helfen koͤnnen. Muͤſſe L 4

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/55>, abgerufen am 22.11.2024.