V. Du fürchtest dich also vor einem bloßen Knochen?
D. Nein! lieber Vater, der kann mir nichts thun.
V. Also hast du auch nicht Ursache, dich vor dem Todtenkopfe zu fürchten. Denn das ist ja bloßer Knochen, der sich nicht rührt, und nichts fühlt: auch gar kein Leben mehr hat. Der todte Mensch hat damit nichts mehr zu thun. Sein Körper ist eben so todt, als sein Kopf, und seine Seele bekümmert sich jetzt nicht mehr um den todten Körper. Fürchtest du dich denn vor deinen beyden tod- ten Brüderchen, die da vor unserm Fenster auf dem Kirchhofe liegen?
D. Nein! die liegen im Grabe, und kön- nen nicht wieder heraus, weil sie todt sind.
V. Gut, weil sie todt sind, sagst du. So ist es mit allen menschlichen Körpern, wenn sie einmal todt sind: sie mögen im Gra-
be
I
V. Du fuͤrchteſt dich alſo vor einem bloßen Knochen?
D. Nein! lieber Vater, der kann mir nichts thun.
V. Alſo haſt du auch nicht Urſache, dich vor dem Todtenkopfe zu fuͤrchten. Denn das iſt ja bloßer Knochen, der ſich nicht ruͤhrt, und nichts fuͤhlt: auch gar kein Leben mehr hat. Der todte Menſch hat damit nichts mehr zu thun. Sein Koͤrper iſt eben ſo todt, als ſein Kopf, und ſeine Seele bekuͤmmert ſich jetzt nicht mehr um den todten Koͤrper. Fuͤrchteſt du dich denn vor deinen beyden tod- ten Bruͤderchen, die da vor unſerm Fenſter auf dem Kirchhofe liegen?
D. Nein! die liegen im Grabe, und koͤn- nen nicht wieder heraus, weil ſie todt ſind.
V. Gut, weil ſie todt ſind, ſagſt du. So iſt es mit allen menſchlichen Koͤrpern, wenn ſie einmal todt ſind: ſie moͤgen im Gra-
be
I
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0151"n="129"/><p>V. Du fuͤrchteſt dich alſo vor einem<lb/>
bloßen Knochen?</p><lb/><p>D. Nein! lieber Vater, der kann mir<lb/>
nichts thun.</p><lb/><p>V. Alſo haſt du auch nicht Urſache, dich<lb/>
vor dem Todtenkopfe zu fuͤrchten. Denn<lb/>
das iſt ja bloßer Knochen, der ſich nicht ruͤhrt,<lb/>
und nichts fuͤhlt: auch gar kein Leben mehr<lb/>
hat. Der todte Menſch hat damit nichts<lb/>
mehr zu thun. Sein Koͤrper iſt eben ſo todt,<lb/>
als ſein Kopf, und ſeine Seele bekuͤmmert<lb/>ſich jetzt nicht mehr um den todten Koͤrper.<lb/>
Fuͤrchteſt du dich denn vor deinen beyden tod-<lb/>
ten Bruͤderchen, die da vor unſerm Fenſter<lb/>
auf dem Kirchhofe liegen?</p><lb/><p>D. Nein! die liegen im Grabe, und koͤn-<lb/>
nen nicht wieder heraus, weil ſie todt ſind.</p><lb/><p>V. Gut, weil ſie todt ſind, ſagſt du.<lb/>
So iſt es mit allen menſchlichen Koͤrpern,<lb/>
wenn ſie einmal todt ſind: ſie moͤgen im Gra-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">I</fw><fwplace="bottom"type="catch">be</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[129/0151]
V. Du fuͤrchteſt dich alſo vor einem
bloßen Knochen?
D. Nein! lieber Vater, der kann mir
nichts thun.
V. Alſo haſt du auch nicht Urſache, dich
vor dem Todtenkopfe zu fuͤrchten. Denn
das iſt ja bloßer Knochen, der ſich nicht ruͤhrt,
und nichts fuͤhlt: auch gar kein Leben mehr
hat. Der todte Menſch hat damit nichts
mehr zu thun. Sein Koͤrper iſt eben ſo todt,
als ſein Kopf, und ſeine Seele bekuͤmmert
ſich jetzt nicht mehr um den todten Koͤrper.
Fuͤrchteſt du dich denn vor deinen beyden tod-
ten Bruͤderchen, die da vor unſerm Fenſter
auf dem Kirchhofe liegen?
D. Nein! die liegen im Grabe, und koͤn-
nen nicht wieder heraus, weil ſie todt ſind.
V. Gut, weil ſie todt ſind, ſagſt du.
So iſt es mit allen menſchlichen Koͤrpern,
wenn ſie einmal todt ſind: ſie moͤgen im Gra-
be
I
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783/151>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.