Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Herzen gegangen, sie hielten fest an Gott; was sie
thaten, thaten sie in seinem Namen, und wo Einer
dem Andern helfen konnte, da säumte er nicht. Vom
Schlosse her ward ihnen kein Uebel, aber viel Gutes.
Immer weniger Ritter wohnten dort, denn immer här¬
ter ward der Streit im Heidenlande und immer nöther
jede Hand, die fechten konnte; die aber, welche im Schlosse
waren, mahnte täglich die große Todtenhalle, in der
die Spinne an Rittern wie an den Bauern ihre Macht
geübt, daß Gott mit gleicher Kraft über Jedem sei,
der von ihm abfalle, sei er Bauer oder Ritter.

"So schwanden viele Jahre in Glück und Segen,
und das Thal ward berühmt vor allen andern. Statt¬
lich waren ihre Häuser, groß ihre Vorräthe, manch
Geldstück ruhte im Kasten, ihr Vieh war das schönste
zu Berg und Thal, und ihre Töchter waren berühmt
Land auf und Land ab, und ihre Söhne gerne gesehen
überall. Und dieser Ruhm welkte nicht über Nacht,
wie dem Jonas seine Schattenstaude, sondern er dauerte
von Geschlecht zu Geschlecht; denn in der gleichen
Gottesfurcht und Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch
die Söhne von Geschlecht zu Geschlecht. Aber wie
gerade in den Birnbaum, der am flüssigsten genähret
wird, am stärksten treibt, der Wurm sich bohrt, ihn
umfrißt, welken läßt und tödtet, so geschieht es, daß,
wo Gottes Segenstrom am reichsten über die Men¬
schen fließt, der Wurm in den Segen kömmt, die Men¬
schen bläht und blind macht, daß sie ob dem Segen
Gott vergessen, ob dem Reichthum, den, der ihn ge¬
geben hat, daß sie werden wie die Israeliten, die, wenn
Gott ihnen geholfen, ob goldenen Kälbern ihn vergaßen.

"So wurden, nachdem viele Geschlechter dahinge¬
gangen, Hochmuth und Hoffart heimisch im Thale,

zu Herzen gegangen, ſie hielten feſt an Gott; was ſie
thaten, thaten ſie in ſeinem Namen, und wo Einer
dem Andern helfen konnte, da ſäumte er nicht. Vom
Schloſſe her ward ihnen kein Uebel, aber viel Gutes.
Immer weniger Ritter wohnten dort, denn immer här¬
ter ward der Streit im Heidenlande und immer nöther
jede Hand, die fechten konnte; die aber, welche im Schloſſe
waren, mahnte täglich die große Todtenhalle, in der
die Spinne an Rittern wie an den Bauern ihre Macht
geübt, daß Gott mit gleicher Kraft über Jedem ſei,
der von ihm abfalle, ſei er Bauer oder Ritter.

„So ſchwanden viele Jahre in Glück und Segen,
und das Thal ward berühmt vor allen andern. Statt¬
lich waren ihre Häuſer, groß ihre Vorräthe, manch
Geldſtück ruhte im Kaſten, ihr Vieh war das ſchönſte
zu Berg und Thal, und ihre Töchter waren berühmt
Land auf und Land ab, und ihre Söhne gerne geſehen
überall. Und dieſer Ruhm welkte nicht über Nacht,
wie dem Jonas ſeine Schattenſtaude, ſondern er dauerte
von Geſchlecht zu Geſchlecht; denn in der gleichen
Gottesfurcht und Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch
die Söhne von Geſchlecht zu Geſchlecht. Aber wie
gerade in den Birnbaum, der am flüſſigſten genähret
wird, am ſtärkſten treibt, der Wurm ſich bohrt, ihn
umfrißt, welken läßt und tödtet, ſo geſchieht es, daß,
wo Gottes Segenſtrom am reichſten über die Men¬
ſchen fließt, der Wurm in den Segen kömmt, die Men¬
ſchen bläht und blind macht, daß ſie ob dem Segen
Gott vergeſſen, ob dem Reichthum, den, der ihn ge¬
geben hat, daß ſie werden wie die Iſraeliten, die, wenn
Gott ihnen geholfen, ob goldenen Kälbern ihn vergaßen.

„So wurden, nachdem viele Geſchlechter dahinge¬
gangen, Hochmuth und Hoffart heimiſch im Thale,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="91"/>
zu Herzen gegangen, &#x017F;ie hielten fe&#x017F;t an Gott; was &#x017F;ie<lb/>
thaten, thaten &#x017F;ie in &#x017F;einem Namen, und wo Einer<lb/>
dem Andern helfen konnte, da &#x017F;äumte er nicht. Vom<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e her ward ihnen kein Uebel, aber viel Gutes.<lb/>
Immer weniger Ritter wohnten dort, denn immer här¬<lb/>
ter ward der Streit im Heidenlande und immer nöther<lb/>
jede Hand, die fechten konnte; die aber, welche im Schlo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
waren, mahnte täglich die große Todtenhalle, in der<lb/>
die Spinne an Rittern wie an den Bauern ihre Macht<lb/>
geübt, daß Gott mit gleicher Kraft über Jedem &#x017F;ei,<lb/>
der von ihm abfalle, &#x017F;ei er Bauer oder Ritter.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So &#x017F;chwanden viele Jahre in Glück und Segen,<lb/>
und das Thal ward berühmt vor allen andern. Statt¬<lb/>
lich waren ihre Häu&#x017F;er, groß ihre Vorräthe, manch<lb/>
Geld&#x017F;tück ruhte im Ka&#x017F;ten, ihr Vieh war das &#x017F;chön&#x017F;te<lb/>
zu Berg und Thal, und ihre Töchter waren berühmt<lb/>
Land auf und Land ab, und ihre Söhne gerne ge&#x017F;ehen<lb/>
überall. Und die&#x017F;er Ruhm welkte nicht über Nacht,<lb/>
wie dem Jonas &#x017F;eine Schatten&#x017F;taude, &#x017F;ondern er dauerte<lb/>
von Ge&#x017F;chlecht zu Ge&#x017F;chlecht; denn in der gleichen<lb/>
Gottesfurcht und Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch<lb/>
die Söhne von Ge&#x017F;chlecht zu Ge&#x017F;chlecht. Aber wie<lb/>
gerade in den Birnbaum, der am flü&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;ten genähret<lb/>
wird, am &#x017F;tärk&#x017F;ten treibt, der Wurm &#x017F;ich bohrt, ihn<lb/>
umfrißt, welken läßt und tödtet, &#x017F;o ge&#x017F;chieht es, daß,<lb/>
wo Gottes Segen&#x017F;trom am reich&#x017F;ten über die Men¬<lb/>
&#x017F;chen fließt, der Wurm in den Segen kömmt, die Men¬<lb/>
&#x017F;chen bläht und blind macht, daß &#x017F;ie ob dem Segen<lb/>
Gott verge&#x017F;&#x017F;en, ob dem Reichthum, den, der ihn ge¬<lb/>
geben hat, daß &#x017F;ie werden wie die I&#x017F;raeliten, die, wenn<lb/>
Gott ihnen geholfen, ob goldenen Kälbern ihn vergaßen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So wurden, nachdem viele Ge&#x017F;chlechter dahinge¬<lb/>
gangen, Hochmuth und Hoffart heimi&#x017F;ch im Thale,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0101] zu Herzen gegangen, ſie hielten feſt an Gott; was ſie thaten, thaten ſie in ſeinem Namen, und wo Einer dem Andern helfen konnte, da ſäumte er nicht. Vom Schloſſe her ward ihnen kein Uebel, aber viel Gutes. Immer weniger Ritter wohnten dort, denn immer här¬ ter ward der Streit im Heidenlande und immer nöther jede Hand, die fechten konnte; die aber, welche im Schloſſe waren, mahnte täglich die große Todtenhalle, in der die Spinne an Rittern wie an den Bauern ihre Macht geübt, daß Gott mit gleicher Kraft über Jedem ſei, der von ihm abfalle, ſei er Bauer oder Ritter. „So ſchwanden viele Jahre in Glück und Segen, und das Thal ward berühmt vor allen andern. Statt¬ lich waren ihre Häuſer, groß ihre Vorräthe, manch Geldſtück ruhte im Kaſten, ihr Vieh war das ſchönſte zu Berg und Thal, und ihre Töchter waren berühmt Land auf und Land ab, und ihre Söhne gerne geſehen überall. Und dieſer Ruhm welkte nicht über Nacht, wie dem Jonas ſeine Schattenſtaude, ſondern er dauerte von Geſchlecht zu Geſchlecht; denn in der gleichen Gottesfurcht und Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch die Söhne von Geſchlecht zu Geſchlecht. Aber wie gerade in den Birnbaum, der am flüſſigſten genähret wird, am ſtärkſten treibt, der Wurm ſich bohrt, ihn umfrißt, welken läßt und tödtet, ſo geſchieht es, daß, wo Gottes Segenſtrom am reichſten über die Men¬ ſchen fließt, der Wurm in den Segen kömmt, die Men¬ ſchen bläht und blind macht, daß ſie ob dem Segen Gott vergeſſen, ob dem Reichthum, den, der ihn ge¬ geben hat, daß ſie werden wie die Iſraeliten, die, wenn Gott ihnen geholfen, ob goldenen Kälbern ihn vergaßen. „So wurden, nachdem viele Geſchlechter dahinge¬ gangen, Hochmuth und Hoffart heimiſch im Thale,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/101
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/101>, abgerufen am 24.11.2024.