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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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"So ging es zu im Hause drunten, und das sämmt¬
liche Gesinde glich bald einer Rudel Katzen, wenn sie
am wüstesten thun. Von beten wußte man nichts mehr,
hatte darum weder vor Gottes Willen, noch vor sei¬
nen Gaben Respekt. Wie die Hoffart der Meisterwei¬
ber keine Grenzen mehr kannte, so hatte der thierische
Uebermuth des Gesindes keine Schranken mehr. Man
schändete ungescheut das Brod, trieb das Habermuß
über den Tisch weg mit den Löffeln sich an die Köpfe,
ja, verunreinigte viehisch die Speise, um boshaft den
Andern die Lust am Essen zu vertreiben. Sie neckten
die Nachbarn, quälten das Vieh, höhnten jeden Got¬
tesdienst, läugneten alle höhere Gewalt und plagten
auf alle Weise den Priester, der strafend zu ihnen ge¬
redet hatte; kurz sie hatten keine Furcht mehr vor Gott
und Menschen und thaten alle Tage wüster. Das
wüsteste Leben führten Knechte und Mägde, und doch
plagten sie einander wie nur möglich, und als die
Knechte nicht mehr wußten, wie sie auf neue Art die
Mägde quälen konnten, da fiel es einem ein, mit der
Spinne im Loche die Mägde zu schrecken oder zahm zu
machen. Er schmiß Löffel voll Habermuß oder Milch
an den Zapfen, und schrie, die drinnen werde wohl
hungerig sein, weil sie so viele hundert Jahre nichts
gehabt.

"Da schrien die Mägde gräßlich auf und verspra¬
chen alles was sie konnten, und selbst den andern
Knechten graute es. Da das Spiel sich ungestraft wie¬
derholte, so wirkte es nicht mehr, die Mägde schrien
nicht mehr, versprachen nichts mehr, und die andern
Knechte begannen es auch zu treiben. Nun fing der
an mit dem Messer gegen das Loch zu fahren, mit den
gräßlichsten Flüchen sich zu vermessen, er mache den

„So ging es zu im Hauſe drunten, und das ſämmt¬
liche Geſinde glich bald einer Rudel Katzen, wenn ſie
am wüſteſten thun. Von beten wußte man nichts mehr,
hatte darum weder vor Gottes Willen, noch vor ſei¬
nen Gaben Reſpekt. Wie die Hoffart der Meiſterwei¬
ber keine Grenzen mehr kannte, ſo hatte der thieriſche
Uebermuth des Geſindes keine Schranken mehr. Man
ſchändete ungeſcheut das Brod, trieb das Habermuß
über den Tiſch weg mit den Löffeln ſich an die Köpfe,
ja, verunreinigte viehiſch die Speiſe, um boshaft den
Andern die Luſt am Eſſen zu vertreiben. Sie neckten
die Nachbarn, quälten das Vieh, höhnten jeden Got¬
tesdienſt, läugneten alle höhere Gewalt und plagten
auf alle Weiſe den Prieſter, der ſtrafend zu ihnen ge¬
redet hatte; kurz ſie hatten keine Furcht mehr vor Gott
und Menſchen und thaten alle Tage wüſter. Das
wüſteſte Leben führten Knechte und Mägde, und doch
plagten ſie einander wie nur möglich, und als die
Knechte nicht mehr wußten, wie ſie auf neue Art die
Mägde quälen konnten, da fiel es einem ein, mit der
Spinne im Loche die Mägde zu ſchrecken oder zahm zu
machen. Er ſchmiß Löffel voll Habermuß oder Milch
an den Zapfen, und ſchrie, die drinnen werde wohl
hungerig ſein, weil ſie ſo viele hundert Jahre nichts
gehabt.

„Da ſchrien die Mägde gräßlich auf und verſpra¬
chen alles was ſie konnten, und ſelbſt den andern
Knechten graute es. Da das Spiel ſich ungeſtraft wie¬
derholte, ſo wirkte es nicht mehr, die Mägde ſchrien
nicht mehr, verſprachen nichts mehr, und die andern
Knechte begannen es auch zu treiben. Nun fing der
an mit dem Meſſer gegen das Loch zu fahren, mit den
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[96/0106] „So ging es zu im Hauſe drunten, und das ſämmt¬ liche Geſinde glich bald einer Rudel Katzen, wenn ſie am wüſteſten thun. Von beten wußte man nichts mehr, hatte darum weder vor Gottes Willen, noch vor ſei¬ nen Gaben Reſpekt. Wie die Hoffart der Meiſterwei¬ ber keine Grenzen mehr kannte, ſo hatte der thieriſche Uebermuth des Geſindes keine Schranken mehr. Man ſchändete ungeſcheut das Brod, trieb das Habermuß über den Tiſch weg mit den Löffeln ſich an die Köpfe, ja, verunreinigte viehiſch die Speiſe, um boshaft den Andern die Luſt am Eſſen zu vertreiben. Sie neckten die Nachbarn, quälten das Vieh, höhnten jeden Got¬ tesdienſt, läugneten alle höhere Gewalt und plagten auf alle Weiſe den Prieſter, der ſtrafend zu ihnen ge¬ redet hatte; kurz ſie hatten keine Furcht mehr vor Gott und Menſchen und thaten alle Tage wüſter. Das wüſteſte Leben führten Knechte und Mägde, und doch plagten ſie einander wie nur möglich, und als die Knechte nicht mehr wußten, wie ſie auf neue Art die Mägde quälen konnten, da fiel es einem ein, mit der Spinne im Loche die Mägde zu ſchrecken oder zahm zu machen. Er ſchmiß Löffel voll Habermuß oder Milch an den Zapfen, und ſchrie, die drinnen werde wohl hungerig ſein, weil ſie ſo viele hundert Jahre nichts gehabt. „Da ſchrien die Mägde gräßlich auf und verſpra¬ chen alles was ſie konnten, und ſelbſt den andern Knechten graute es. Da das Spiel ſich ungeſtraft wie¬ derholte, ſo wirkte es nicht mehr, die Mägde ſchrien nicht mehr, verſprachen nichts mehr, und die andern Knechte begannen es auch zu treiben. Nun fing der an mit dem Meſſer gegen das Loch zu fahren, mit den gräßlichſten Flüchen ſich zu vermeſſen, er mache den

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/106>, abgerufen am 19.05.2024.