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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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alle Winter aussenden möchte, armen guten Kindern
das Betteln zu ersparen, arme Leute vor so tiefem Elend
zu bewahren, daß kein armes Margrithli mehr sterben
müßte in dunklem Walde. Und der liebe Gott freute
sich gar sehr über ihre Bitte und schickt sie alle Winter
aus. Und nun wenn es Winter wird und kalt und
der Schnee girret und glitzert, so lassen sich diese gelben
Vögelein zu den Häusern; und wo sie ein klein arm
Hüttlein sehen, da fliegen sie auf den Sinzel und lugen
scharf ins Stübchen, ob da Noth und Elend sei, und
stecken ihr Schnäbelchen an die Fugen der Fenster, um
zu merken, ob es kalt oder warm drinnen sei. Und wo
sie Elend merken und Noth und kalte Stübchen, da
fliegen sie vor reiche Häuser und thun nöthlich vor den
Fenstern und auf der Bsetzi, und flattern auf den Bäu¬
men herum, damit die Bäuerin merke, es friere eine
arme Familie in der Nähe und leide Noth; da fliegen
sie ängstlich vor den Bauern herum auf dem Wege,
wenn sie ins Holz fahren oder Holz um schwer Geld
fortführen, und mahnen sie, es sei ein arm Margrithli
auf dem Wege und werde im Walde erfrieren, weil
man nur das Holz verkaufen und keines mehr verschen¬
ken wolle; da flattern sie den Förstern, die auf Holz¬
steigerungen reiten oder fahren, gar ängstlich um die
Beine, diese schönen gelben Vögelein, und möchten ihnen
ins Herz schreien, wie manch arm Margrithli frieren
müsse, betteln müsse und umsonst; wie manche Haus¬
haltung fast erfrieren müsse, während sie viel Geld lösen
für die Staatskasse, die kein Herz hat für arme Mar¬
grithli. Aber am meisten sieht man solche gelbe Vöge¬
lein in Städten, in Bern namentlich; da flattern sie
nicht nur denen, die am meisten zu befehlen haben, vor
den Füßen herum, so oft sie über die Gasse gehen, sie

alle Winter ausſenden möchte, armen guten Kindern
das Betteln zu erſparen, arme Leute vor ſo tiefem Elend
zu bewahren, daß kein armes Margrithli mehr ſterben
müßte in dunklem Walde. Und der liebe Gott freute
ſich gar ſehr über ihre Bitte und ſchickt ſie alle Winter
aus. Und nun wenn es Winter wird und kalt und
der Schnee girret und glitzert, ſo laſſen ſich dieſe gelben
Vögelein zu den Häuſern; und wo ſie ein klein arm
Hüttlein ſehen, da fliegen ſie auf den Sinzel und lugen
ſcharf ins Stübchen, ob da Noth und Elend ſei, und
ſtecken ihr Schnäbelchen an die Fugen der Fenſter, um
zu merken, ob es kalt oder warm drinnen ſei. Und wo
ſie Elend merken und Noth und kalte Stübchen, da
fliegen ſie vor reiche Häuſer und thun nöthlich vor den
Fenſtern und auf der Bſetzi, und flattern auf den Bäu¬
men herum, damit die Bäuerin merke, es friere eine
arme Familie in der Nähe und leide Noth; da fliegen
ſie ängſtlich vor den Bauern herum auf dem Wege,
wenn ſie ins Holz fahren oder Holz um ſchwer Geld
fortführen, und mahnen ſie, es ſei ein arm Margrithli
auf dem Wege und werde im Walde erfrieren, weil
man nur das Holz verkaufen und keines mehr verſchen¬
ken wolle; da flattern ſie den Förſtern, die auf Holz¬
ſteigerungen reiten oder fahren, gar ängſtlich um die
Beine, dieſe ſchönen gelben Vögelein, und möchten ihnen
ins Herz ſchreien, wie manch arm Margrithli frieren
müſſe, betteln müſſe und umſonſt; wie manche Haus¬
haltung faſt erfrieren müſſe, während ſie viel Geld löſen
für die Staatskaſſe, die kein Herz hat für arme Mar¬
grithli. Aber am meiſten ſieht man ſolche gelbe Vöge¬
lein in Städten, in Bern namentlich; da flattern ſie
nicht nur denen, die am meiſten zu befehlen haben, vor
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[147/0157] alle Winter ausſenden möchte, armen guten Kindern das Betteln zu erſparen, arme Leute vor ſo tiefem Elend zu bewahren, daß kein armes Margrithli mehr ſterben müßte in dunklem Walde. Und der liebe Gott freute ſich gar ſehr über ihre Bitte und ſchickt ſie alle Winter aus. Und nun wenn es Winter wird und kalt und der Schnee girret und glitzert, ſo laſſen ſich dieſe gelben Vögelein zu den Häuſern; und wo ſie ein klein arm Hüttlein ſehen, da fliegen ſie auf den Sinzel und lugen ſcharf ins Stübchen, ob da Noth und Elend ſei, und ſtecken ihr Schnäbelchen an die Fugen der Fenſter, um zu merken, ob es kalt oder warm drinnen ſei. Und wo ſie Elend merken und Noth und kalte Stübchen, da fliegen ſie vor reiche Häuſer und thun nöthlich vor den Fenſtern und auf der Bſetzi, und flattern auf den Bäu¬ men herum, damit die Bäuerin merke, es friere eine arme Familie in der Nähe und leide Noth; da fliegen ſie ängſtlich vor den Bauern herum auf dem Wege, wenn ſie ins Holz fahren oder Holz um ſchwer Geld fortführen, und mahnen ſie, es ſei ein arm Margrithli auf dem Wege und werde im Walde erfrieren, weil man nur das Holz verkaufen und keines mehr verſchen¬ ken wolle; da flattern ſie den Förſtern, die auf Holz¬ ſteigerungen reiten oder fahren, gar ängſtlich um die Beine, dieſe ſchönen gelben Vögelein, und möchten ihnen ins Herz ſchreien, wie manch arm Margrithli frieren müſſe, betteln müſſe und umſonſt; wie manche Haus¬ haltung faſt erfrieren müſſe, während ſie viel Geld löſen für die Staatskaſſe, die kein Herz hat für arme Mar¬ grithli. Aber am meiſten ſieht man ſolche gelbe Vöge¬ lein in Städten, in Bern namentlich; da flattern ſie nicht nur denen, die am meiſten zu befehlen haben, vor den Füßen herum, ſo oft ſie über die Gaſſe gehen, ſie

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/157>, abgerufen am 27.05.2024.