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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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des Grünen teuflisch Gesicht, und ein Donner fuhr über
sie, als ob der Himmel zersprungen wäre.

"Verschwunden war der Grüne und Christine stund
wie versteinert, als ob tief in den Boden hinunter ihre
Füße Wurzeln getrieben hätten in jenem schrecklichen
Augenblick. Endlich war sie ihrer Glieder wieder mäch¬
tig, aber im Gemüthe brauste und sauste es ihr, als
ob ein mächtiges Wasser seine Fluthen wälze über thurm¬
hohe Felsen hinunter in schwarzem Schlund. Wie man
im Donner der Wasser die eigene Stimme nicht hört,
so ward Christine der eigenen Gedanken sich nicht be¬
wußt im Tosen, das donnerte in ihrem Gemüthe. Un¬
willkürlich floh sie den Berg hinan, und immer glühen¬
der fühlte sie ein Brennen an ihrer Wange, da wo des
Grünen Mund sie berührt; sie rieb, sie wusch, aber
der Brand nahm nicht ab.

"Es ward eine wilde Nacht. In Lüften und Klüf¬
ten heulte und toste es, als ob die Geister der Nacht
Hochzeit hielten in den schwarzen Wolken, die Winde
die wilden Reigen spielten zu ihrem grausen Tanze, die
Blitze die Hochzeitfackeln wären und der Donner der
Hochzeitsegen. In dieser Jahreszeit hatte man eine solche
Nacht noch nie erlebt.

"In finsterem Bergesthale regte es sich um ein gro¬
ßes Haus und viele drängten sich um sein schirmend
Obdach. Sonst treibt im Gewittersturm die Angst um
den eigenen Herd den Landmann unter das eigene Dach,
und sorgsam wachend so lange das Gewitter am Him¬
mel steht, wahret und hütet er das eigene Haus. Aber
jetzt war die gemeinsame Noth größer als die Angst vor
dem Gewitter. Diese trieb sie in diesem Hause zusam¬
men, an welchem vorbeigehen mußten die, welche der
Sturm aus dem Münnebrg trieb, und die, welche von

des Grünen teufliſch Geſicht, und ein Donner fuhr über
ſie, als ob der Himmel zerſprungen wäre.

„Verſchwunden war der Grüne und Chriſtine ſtund
wie verſteinert, als ob tief in den Boden hinunter ihre
Füße Wurzeln getrieben hätten in jenem ſchrecklichen
Augenblick. Endlich war ſie ihrer Glieder wieder mäch¬
tig, aber im Gemüthe brauste und ſauste es ihr, als
ob ein mächtiges Waſſer ſeine Fluthen wälze über thurm¬
hohe Felſen hinunter in ſchwarzem Schlund. Wie man
im Donner der Waſſer die eigene Stimme nicht hört,
ſo ward Chriſtine der eigenen Gedanken ſich nicht be¬
wußt im Toſen, das donnerte in ihrem Gemüthe. Un¬
willkürlich floh ſie den Berg hinan, und immer glühen¬
der fühlte ſie ein Brennen an ihrer Wange, da wo des
Grünen Mund ſie berührt; ſie rieb, ſie wuſch, aber
der Brand nahm nicht ab.

„Es ward eine wilde Nacht. In Lüften und Klüf¬
ten heulte und toste es, als ob die Geiſter der Nacht
Hochzeit hielten in den ſchwarzen Wolken, die Winde
die wilden Reigen ſpielten zu ihrem grauſen Tanze, die
Blitze die Hochzeitfackeln wären und der Donner der
Hochzeitſegen. In dieſer Jahreszeit hatte man eine ſolche
Nacht noch nie erlebt.

„In finſterem Bergesthale regte es ſich um ein gro¬
ßes Haus und viele drängten ſich um ſein ſchirmend
Obdach. Sonſt treibt im Gewitterſturm die Angſt um
den eigenen Herd den Landmann unter das eigene Dach,
und ſorgſam wachend ſo lange das Gewitter am Him¬
mel ſteht, wahret und hütet er das eigene Haus. Aber
jetzt war die gemeinſame Noth größer als die Angſt vor
dem Gewitter. Dieſe trieb ſie in dieſem Hauſe zuſam¬
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[42/0052] des Grünen teufliſch Geſicht, und ein Donner fuhr über ſie, als ob der Himmel zerſprungen wäre. „Verſchwunden war der Grüne und Chriſtine ſtund wie verſteinert, als ob tief in den Boden hinunter ihre Füße Wurzeln getrieben hätten in jenem ſchrecklichen Augenblick. Endlich war ſie ihrer Glieder wieder mäch¬ tig, aber im Gemüthe brauste und ſauste es ihr, als ob ein mächtiges Waſſer ſeine Fluthen wälze über thurm¬ hohe Felſen hinunter in ſchwarzem Schlund. Wie man im Donner der Waſſer die eigene Stimme nicht hört, ſo ward Chriſtine der eigenen Gedanken ſich nicht be¬ wußt im Toſen, das donnerte in ihrem Gemüthe. Un¬ willkürlich floh ſie den Berg hinan, und immer glühen¬ der fühlte ſie ein Brennen an ihrer Wange, da wo des Grünen Mund ſie berührt; ſie rieb, ſie wuſch, aber der Brand nahm nicht ab. „Es ward eine wilde Nacht. In Lüften und Klüf¬ ten heulte und toste es, als ob die Geiſter der Nacht Hochzeit hielten in den ſchwarzen Wolken, die Winde die wilden Reigen ſpielten zu ihrem grauſen Tanze, die Blitze die Hochzeitfackeln wären und der Donner der Hochzeitſegen. In dieſer Jahreszeit hatte man eine ſolche Nacht noch nie erlebt. „In finſterem Bergesthale regte es ſich um ein gro¬ ßes Haus und viele drängten ſich um ſein ſchirmend Obdach. Sonſt treibt im Gewitterſturm die Angſt um den eigenen Herd den Landmann unter das eigene Dach, und ſorgſam wachend ſo lange das Gewitter am Him¬ mel ſteht, wahret und hütet er das eigene Haus. Aber jetzt war die gemeinſame Noth größer als die Angſt vor dem Gewitter. Dieſe trieb ſie in dieſem Hauſe zuſam¬ men, an welchem vorbeigehen mußten die, welche der Sturm aus dem Münnebrg trieb, und die, welche von

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/52>, abgerufen am 22.11.2024.