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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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der Diener dessen, der dem Donner seine Stimme gibt
und den Blitz zu seinem Knechte hat, hat sich vor die¬
sem Mitknechte des gleichen Herrn nicht zu fürchten,
und wer auf Gottes Wegen geht, kann getrost Gottes
Wettern das Seine überlassen. Darum schritt der Prie¬
ster unerschrocken durch die Wetter dem Kilchstalden zu.
Aber nicht in gleichem Muthe folgten ihm die andern,
denn nicht am gleichen Orte war ihr Herz; sie wollten
nicht den Kilchstalden ab, nicht in solchem Wetter, nicht
in später Nacht, und Hans hatte noch einen besondern
Grund, warum er nicht wollte. Sie baten den Priester
umzukehren, auf andern Wegen zu gehen, Hans wußte
nähere, der Sigrist bessere, beide warnten vor den
Wassern im Thale, der aufgeschwollenen Grüne. Aber
der Priester hörte nicht, achtete ihrer Rede nicht; von
einem wunderbaren Drange getrieben, eilte er auf den
Flügeln des Gebetes dem Kilchstalden zu, sein Fuß
stieß an keinen Stein, sein Auge ward durch keinen
Blitz geblendet; bebend und weit hinter ihm, gedeckt,
wie sie meinten, durch das Heiligste, das der Priester
selbsten trug, folgten Hans und der Sigrist ihm nach.

"Als sie aber hinaus kamen vor das Dorf, wo ins
Thal hinunter der Stalden sich senkt, da steht der Prie¬
ster plötzlich still und schirmt mit der Hand die Augen.
Unterhalb der Kapelle schimmert in des Blitzes Schein
eine rothe Feder, und des Priesters scharfes Auge sieht
aus grünem Haage hervorragen ein schwarzes Haupt,
und auf diesem schwankt die rothe Feder. Und wie er
noch länger schaut, sieht er am jenseitigen Abhange in
schnellstem Laufe, wie gejagt von des Windes wilde¬
stem Stoße, daher fliegen eine wilde Gestalt dem
dunkeln Haupte zu, auf dem einer Fahne gleich die
rothe Feder schwankte.

der Diener deſſen, der dem Donner ſeine Stimme gibt
und den Blitz zu ſeinem Knechte hat, hat ſich vor die¬
ſem Mitknechte des gleichen Herrn nicht zu fürchten,
und wer auf Gottes Wegen geht, kann getroſt Gottes
Wettern das Seine überlaſſen. Darum ſchritt der Prie¬
ſter unerſchrocken durch die Wetter dem Kilchſtalden zu.
Aber nicht in gleichem Muthe folgten ihm die andern,
denn nicht am gleichen Orte war ihr Herz; ſie wollten
nicht den Kilchſtalden ab, nicht in ſolchem Wetter, nicht
in ſpäter Nacht, und Hans hatte noch einen beſondern
Grund, warum er nicht wollte. Sie baten den Prieſter
umzukehren, auf andern Wegen zu gehen, Hans wußte
nähere, der Sigriſt beſſere, beide warnten vor den
Waſſern im Thale, der aufgeſchwollenen Grüne. Aber
der Prieſter hörte nicht, achtete ihrer Rede nicht; von
einem wunderbaren Drange getrieben, eilte er auf den
Flügeln des Gebetes dem Kilchſtalden zu, ſein Fuß
ſtieß an keinen Stein, ſein Auge ward durch keinen
Blitz geblendet; bebend und weit hinter ihm, gedeckt,
wie ſie meinten, durch das Heiligſte, das der Prieſter
ſelbſten trug, folgten Hans und der Sigriſt ihm nach.

„Als ſie aber hinaus kamen vor das Dorf, wo ins
Thal hinunter der Stalden ſich ſenkt, da ſteht der Prie¬
ſter plötzlich ſtill und ſchirmt mit der Hand die Augen.
Unterhalb der Kapelle ſchimmert in des Blitzes Schein
eine rothe Feder, und des Prieſters ſcharfes Auge ſieht
aus grünem Haage hervorragen ein ſchwarzes Haupt,
und auf dieſem ſchwankt die rothe Feder. Und wie er
noch länger ſchaut, ſieht er am jenſeitigen Abhange in
ſchnellſtem Laufe, wie gejagt von des Windes wilde¬
ſtem Stoße, daher fliegen eine wilde Geſtalt dem
dunkeln Haupte zu, auf dem einer Fahne gleich die
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[71/0081] der Diener deſſen, der dem Donner ſeine Stimme gibt und den Blitz zu ſeinem Knechte hat, hat ſich vor die¬ ſem Mitknechte des gleichen Herrn nicht zu fürchten, und wer auf Gottes Wegen geht, kann getroſt Gottes Wettern das Seine überlaſſen. Darum ſchritt der Prie¬ ſter unerſchrocken durch die Wetter dem Kilchſtalden zu. Aber nicht in gleichem Muthe folgten ihm die andern, denn nicht am gleichen Orte war ihr Herz; ſie wollten nicht den Kilchſtalden ab, nicht in ſolchem Wetter, nicht in ſpäter Nacht, und Hans hatte noch einen beſondern Grund, warum er nicht wollte. Sie baten den Prieſter umzukehren, auf andern Wegen zu gehen, Hans wußte nähere, der Sigriſt beſſere, beide warnten vor den Waſſern im Thale, der aufgeſchwollenen Grüne. Aber der Prieſter hörte nicht, achtete ihrer Rede nicht; von einem wunderbaren Drange getrieben, eilte er auf den Flügeln des Gebetes dem Kilchſtalden zu, ſein Fuß ſtieß an keinen Stein, ſein Auge ward durch keinen Blitz geblendet; bebend und weit hinter ihm, gedeckt, wie ſie meinten, durch das Heiligſte, das der Prieſter ſelbſten trug, folgten Hans und der Sigriſt ihm nach. „Als ſie aber hinaus kamen vor das Dorf, wo ins Thal hinunter der Stalden ſich ſenkt, da ſteht der Prie¬ ſter plötzlich ſtill und ſchirmt mit der Hand die Augen. Unterhalb der Kapelle ſchimmert in des Blitzes Schein eine rothe Feder, und des Prieſters ſcharfes Auge ſieht aus grünem Haage hervorragen ein ſchwarzes Haupt, und auf dieſem ſchwankt die rothe Feder. Und wie er noch länger ſchaut, ſieht er am jenſeitigen Abhange in ſchnellſtem Laufe, wie gejagt von des Windes wilde¬ ſtem Stoße, daher fliegen eine wilde Geſtalt dem dunkeln Haupte zu, auf dem einer Fahne gleich die rothe Feder ſchwankte.

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/81>, abgerufen am 19.05.2024.