Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_138.001 Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, pgo_138.002 Jm dunklen Laub die Goldorangen glühn, pgo_138.003 Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, pgo_138.004 Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht! pgo_138.005 So schwebt mir vor ein süßes pgo_138.014 pgo_138.015Anmuthig liebes Bild. Mädchen mit dem rothen Mündchen, pgo_138.016 pgo_138.017Mit dem Aeuglein süß und klar. Jn den Armen meiner Kön'gin pgo_138.018 Ruht mein Königshaupt so weich. pgo_138.019 Jch weiß nicht, was soll es bedeuten, pgo_138.025 Daß ich so traurig bin! pgo_138.026 Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen pgo_138.032
Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen, pgo_138.033 Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch pgo_138.034 Zu scheußlichen Klumpen geballt, pgo_138.035 Der stachlichte Roche, der Klippenfisch, pgo_138.036 Des Hammers gräuliche Ungestalt, pgo_138.001 Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, pgo_138.002 Jm dunklen Laub die Goldorangen glühn, pgo_138.003 Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, pgo_138.004 Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht! pgo_138.005 So schwebt mir vor ein süßes pgo_138.014 pgo_138.015Anmuthig liebes Bild. Mädchen mit dem rothen Mündchen, pgo_138.016 pgo_138.017Mit dem Aeuglein süß und klar. Jn den Armen meiner Kön'gin pgo_138.018 Ruht mein Königshaupt so weich. pgo_138.019 Jch weiß nicht, was soll es bedeuten, pgo_138.025 Daß ich so traurig bin! pgo_138.026 Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen pgo_138.032
Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen, pgo_138.033 Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch pgo_138.034 Zu scheußlichen Klumpen geballt, pgo_138.035 Der stachlichte Roche, der Klippenfisch, pgo_138.036 Des Hammers gräuliche Ungestalt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0160" n="138"/> <lb n="pgo_138.001"/> <lg> <l>Kennst du das Land, wo die Citronen blühn,</l> <lb n="pgo_138.002"/> <l>Jm <hi rendition="#g">dunklen</hi> Laub die Goldorangen glühn,</l> <lb n="pgo_138.003"/> <l>Ein <hi rendition="#g">sanfter</hi> Wind vom <hi rendition="#g">blauen</hi> Himmel weht,</l> <lb n="pgo_138.004"/> <l>Die Myrthe <hi rendition="#g">still</hi> und <hi rendition="#g">hoch</hi> der Lorbeer steht!</l> </lg> <p><lb n="pgo_138.005"/> Wie einfach sind die Beiwörter in diesem Vers gewählt, und wie <lb n="pgo_138.006"/> geben sie doch durch ihre Zusammenstellung ein stimmungsvolles Bild! <lb n="pgo_138.007"/> Auch „gefällig, anmuthig“ sind Lieblingsbeiwörter dieses Dichters! <lb n="pgo_138.008"/> Spiegelt sich in ihnen nicht ganz die plastische Klarheit seiner Seele und <lb n="pgo_138.009"/> seines Styles? Jn <hi rendition="#g">Heine's</hi> Liedern finden sich ebenfalls einfache Beiwörter, <lb n="pgo_138.010"/> welche von einem großen Reize der Stimmung begleitet sind. <lb n="pgo_138.011"/> Doch wiegen hier die <hi rendition="#g">sinnlichen</hi> vor, nicht in Goethe's plastischem, <lb n="pgo_138.012"/> sondern in stoffartigem Sinn: <hi rendition="#g">süß, weich:</hi></p> <lb n="pgo_138.013"/> <lg> <l>So schwebt mir vor ein <hi rendition="#g">süßes</hi></l> <lb n="pgo_138.014"/> <l>Anmuthig liebes Bild.</l> </lg> <lb n="pgo_138.015"/> <lg> <l>Mädchen mit dem rothen Mündchen,</l> <lb n="pgo_138.016"/> <l>Mit dem Aeuglein <hi rendition="#g">süß</hi> und klar.</l> </lg> <lb n="pgo_138.017"/> <lg> <l>Jn den Armen meiner Kön'gin</l> <lb n="pgo_138.018"/> <l>Ruht mein Königshaupt so <hi rendition="#g">weich</hi>.</l> </lg> <p><lb n="pgo_138.019"/> Jm Kontrast damit drückt er sein Unbehagen durch Wörter wie <lb n="pgo_138.020"/> <hi rendition="#g">dumpf, wund, elend</hi> aus! Liebeslust und Lebenssattheit, der Grundzug <lb n="pgo_138.021"/> seiner Gedichte, prägt sich in seinen Lieblingsadjectiven aus. Doch <lb n="pgo_138.022"/> hat er mit Goethe den Vorzug gemein, daß er dem einfachsten Beiwort <lb n="pgo_138.023"/> oft eine prägnante Bedeutung zu geben weiß z. B.:</p> <lb n="pgo_138.024"/> <lg> <l>Jch weiß nicht, was soll es bedeuten,</l> <lb n="pgo_138.025"/> <l>Daß ich so <hi rendition="#g">traurig</hi> bin!</l> </lg> <p><lb n="pgo_138.026"/> Ganz abweichend von diesen beiden Dichtern liebt <hi rendition="#g">Schiller</hi> abstracte <lb n="pgo_138.027"/> Beiwörter, wie <hi rendition="#g">edel, sittlich, herrlich, ewig, schrecklich, zärtlich, <lb n="pgo_138.028"/> himmlisch,</hi> Beiwörter, welche den idealen Charakter und das <lb n="pgo_138.029"/> sittliche Pathos seines Dichtens treffend repräsentiren. Wo er aber schildert, <lb n="pgo_138.030"/> häuft er die Synonyma in einer fast unschönen Weise:</p> <lb n="pgo_138.031"/> <lg> <l>Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen</l> <lb n="pgo_138.032"/> <l>Sich regt' in dem <hi rendition="#g">furchtbaren</hi> Höllenrachen,</l> <lb n="pgo_138.033"/> <l>Schwarz wimmelten da, in <hi rendition="#g">grausem</hi> Gemisch</l> <lb n="pgo_138.034"/> <l>Zu <hi rendition="#g">scheußlichen</hi> Klumpen geballt,</l> <lb n="pgo_138.035"/> <l>Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,</l> <lb n="pgo_138.036"/> <l>Des Hammers <hi rendition="#g">gräuliche</hi> Ungestalt,</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0160]
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Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, pgo_138.002
Jm dunklen Laub die Goldorangen glühn, pgo_138.003
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, pgo_138.004
Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht!
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Wie einfach sind die Beiwörter in diesem Vers gewählt, und wie pgo_138.006
geben sie doch durch ihre Zusammenstellung ein stimmungsvolles Bild! pgo_138.007
Auch „gefällig, anmuthig“ sind Lieblingsbeiwörter dieses Dichters! pgo_138.008
Spiegelt sich in ihnen nicht ganz die plastische Klarheit seiner Seele und pgo_138.009
seines Styles? Jn Heine's Liedern finden sich ebenfalls einfache Beiwörter, pgo_138.010
welche von einem großen Reize der Stimmung begleitet sind. pgo_138.011
Doch wiegen hier die sinnlichen vor, nicht in Goethe's plastischem, pgo_138.012
sondern in stoffartigem Sinn: süß, weich:
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So schwebt mir vor ein süßes pgo_138.014
Anmuthig liebes Bild.
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Mädchen mit dem rothen Mündchen, pgo_138.016
Mit dem Aeuglein süß und klar.
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Jn den Armen meiner Kön'gin pgo_138.018
Ruht mein Königshaupt so weich.
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Jm Kontrast damit drückt er sein Unbehagen durch Wörter wie pgo_138.020
dumpf, wund, elend aus! Liebeslust und Lebenssattheit, der Grundzug pgo_138.021
seiner Gedichte, prägt sich in seinen Lieblingsadjectiven aus. Doch pgo_138.022
hat er mit Goethe den Vorzug gemein, daß er dem einfachsten Beiwort pgo_138.023
oft eine prägnante Bedeutung zu geben weiß z. B.:
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Jch weiß nicht, was soll es bedeuten, pgo_138.025
Daß ich so traurig bin!
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Ganz abweichend von diesen beiden Dichtern liebt Schiller abstracte pgo_138.027
Beiwörter, wie edel, sittlich, herrlich, ewig, schrecklich, zärtlich, pgo_138.028
himmlisch, Beiwörter, welche den idealen Charakter und das pgo_138.029
sittliche Pathos seines Dichtens treffend repräsentiren. Wo er aber schildert, pgo_138.030
häuft er die Synonyma in einer fast unschönen Weise:
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Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen pgo_138.032
Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen, pgo_138.033
Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch pgo_138.034
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Der stachlichte Roche, der Klippenfisch, pgo_138.036
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
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