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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, pgo_138.002
Jm dunklen Laub die Goldorangen glühn, pgo_138.003
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, pgo_138.004
Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht!

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Wie einfach sind die Beiwörter in diesem Vers gewählt, und wie pgo_138.006
geben sie doch durch ihre Zusammenstellung ein stimmungsvolles Bild! pgo_138.007
Auch "gefällig, anmuthig" sind Lieblingsbeiwörter dieses Dichters! pgo_138.008
Spiegelt sich in ihnen nicht ganz die plastische Klarheit seiner Seele und pgo_138.009
seines Styles? Jn Heine's Liedern finden sich ebenfalls einfache Beiwörter, pgo_138.010
welche von einem großen Reize der Stimmung begleitet sind. pgo_138.011
Doch wiegen hier die sinnlichen vor, nicht in Goethe's plastischem, pgo_138.012
sondern in stoffartigem Sinn: süß, weich:

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So schwebt mir vor ein süßes pgo_138.014
Anmuthig liebes Bild.
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Mädchen mit dem rothen Mündchen, pgo_138.016
Mit dem Aeuglein süß und klar.
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Jn den Armen meiner Kön'gin pgo_138.018
Ruht mein Königshaupt so weich.

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Jm Kontrast damit drückt er sein Unbehagen durch Wörter wie pgo_138.020
dumpf, wund, elend aus! Liebeslust und Lebenssattheit, der Grundzug pgo_138.021
seiner Gedichte, prägt sich in seinen Lieblingsadjectiven aus. Doch pgo_138.022
hat er mit Goethe den Vorzug gemein, daß er dem einfachsten Beiwort pgo_138.023
oft eine prägnante Bedeutung zu geben weiß z. B.:

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Jch weiß nicht, was soll es bedeuten, pgo_138.025
Daß ich so traurig bin!

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Ganz abweichend von diesen beiden Dichtern liebt Schiller abstracte pgo_138.027
Beiwörter, wie edel, sittlich, herrlich, ewig, schrecklich, zärtlich, pgo_138.028
himmlisch,
Beiwörter, welche den idealen Charakter und das pgo_138.029
sittliche Pathos seines Dichtens treffend repräsentiren. Wo er aber schildert, pgo_138.030
häuft er die Synonyma in einer fast unschönen Weise:

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Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen pgo_138.032
Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen, pgo_138.033
Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch pgo_138.034
Zu scheußlichen Klumpen geballt, pgo_138.035
Der stachlichte Roche, der Klippenfisch, pgo_138.036
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/160>, abgerufen am 21.11.2024.