Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_139.001 Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne pgo_139.002 Der entsetzliche Hay, des Meeres Hyäne! pgo_139.003 pgo_139.005 Und das ist ein Drehn und Winden pgo_139.022 [Annotation] Vor den buntbemalten Puppen, pgo_139.023 Und das blökt und dampft und klingelt, pgo_139.024 Und die dummen Kerzen funkeln. pgo_139.025 Goethe spricht vom "stolzen Licht," das der Mutter Nacht den Vorrang pgo_139.029 streitig macht, von den "süßen Rosen." [Annotation] Shakespeare ist reich an pgo_139.030 solchen beziehungsreichen Beiwörtern: [Annotation] pgo_139.031 Jch rath' euch lieber, in den kecksten Farben pgo_139.032 pgo_139.033Der Lust zu kommen. Kaufmann von Venedig. [Annotation] pgo_139.034Welch' eine Bürgerfrau nenn' ich mit Namen, pgo_139.035 pgo_139.037Wenn ich hehaupt', es tragen Bürgerfrau'n pgo_139.036 Der Fürsten Aufwand auf unwürd'gen Schultern. Wie es euch gefällt. [Annotation]pgo_139.001 Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne pgo_139.002 Der entsetzliche Hay, des Meeres Hyäne! pgo_139.003 pgo_139.005 Und das ist ein Drehn und Winden pgo_139.022 [Annotation] Vor den buntbemalten Puppen, pgo_139.023 Und das blökt und dampft und klingelt, pgo_139.024 Und die dummen Kerzen funkeln. pgo_139.025 Goethe spricht vom „stolzen Licht,“ das der Mutter Nacht den Vorrang pgo_139.029 streitig macht, von den „süßen Rosen.“ [Annotation] Shakespeare ist reich an pgo_139.030 solchen beziehungsreichen Beiwörtern: [Annotation] pgo_139.031 Jch rath' euch lieber, in den kecksten Farben pgo_139.032 pgo_139.033Der Lust zu kommen. Kaufmann von Venedig. [Annotation] pgo_139.034Welch' eine Bürgerfrau nenn' ich mit Namen, pgo_139.035 pgo_139.037Wenn ich hehaupt', es tragen Bürgerfrau'n pgo_139.036 Der Fürsten Aufwand auf unwürd'gen Schultern. Wie es euch gefällt. [Annotation]<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0161" n="139"/> <lb n="pgo_139.001"/> <lg> <l>Und dräuend wies mir die <hi rendition="#g">grimmigen</hi> Zähne</l> <lb n="pgo_139.002"/> <l>Der <hi rendition="#g">entsetzliche</hi> Hay, des Meeres Hyäne!</l> </lg> <p><lb n="pgo_139.003"/><hi rendition="#g">Lenau</hi> wiederum liebt Beiwörter wie <hi rendition="#g">still, stumm, trüb, traut, <lb n="pgo_139.004"/> dunkel,</hi> in denen sich die Melancholie seiner Seele malt.</p> <p><lb n="pgo_139.005"/> Alle diese Beiwörter fördern direct die Anschaulichkeit und die Stimmung. <lb n="pgo_139.006"/> Hierher gehören auch die stereotypen Beiwörter Homer's: die <lb n="pgo_139.007"/> rosenfingrige Eos, die blauäugige Athene, der blondgelockte Menelaos <lb n="pgo_139.008"/> u. s. w. <anchor xml:id="go001"/> Eine größere Wirkung als diese einfachen Adjectiva bringen <lb n="pgo_139.009"/> diejenigen hervor, in denen eine Metapher latent ist. Wir können <lb n="pgo_139.010"/> jene Adjectiva der <hi rendition="#g">Bezeichnung,</hi> diese Adjectiva der <hi rendition="#g">Beziehung</hi> <lb n="pgo_139.011"/> nennen. Hier handelt es sich nicht blos um ein <foreign xml:lang="lat">epitheton ornans</foreign>, <lb n="pgo_139.012"/> um eine plastische, sinnliche, sittliche Bezeichnung; das Adjectivum trägt <lb n="pgo_139.013"/> hier nicht blos die Fackel, um das Substantivum zu beleuchten; es steht <lb n="pgo_139.014"/> sogar im offenen Widerspruch mit seinen Eigenschaften und wird ihm <lb n="pgo_139.015"/> nur durch einen kühnen Machtspruch des Dichters beigegeben, welcher <lb n="pgo_139.016"/> dann dem Substantivum eine Bedeutung unterschiebt, die ohne Zusammenhang <lb n="pgo_139.017"/> mit seinem eigentlichen Wesen ist und sich gleichsam nur als ein <lb n="pgo_139.018"/> Reflex aus der ganzen Situation, aus dem ganzen Gedanken auf dasselbe <lb n="pgo_139.019"/> ergießt. So wenn einem sinnlichen todten Ding eine geistige <lb n="pgo_139.020"/> Eigenschaft untergeschoben wird. <anchor xml:id="go002"/> <note targetEnd="#go002" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-8-1-0" target="#go001"> Abgr. zwischen Adjektiv der Bezeichnung und der Beziehung (in letzterem Metapher) - Unterkat.: Adj. d. Bez. </note> <anchor xml:id="go003"/> Heine sagt: <lb n="pgo_139.021"/> <lg><l>Und das ist ein Drehn und Winden</l><lb n="pgo_139.022"/><l>Vor den buntbemalten Puppen,</l><lb n="pgo_139.023"/><l>Und das blökt und dampft und klingelt,</l><lb n="pgo_139.024"/><l>Und die <hi rendition="#g">dummen Kerzen</hi> funkeln.</l></lg> <anchor xml:id="go004"/> <note targetEnd="#go004" type="metapher" ana="#m1-0-3-0 #m1-2-1-0 #m1-3-1-0 #m1-6-2-1 #m1-7-2-0" target="#go003"> impl. Werk: Almansor - Bsp. für obige Abgr. - Unterkat.: Adj. d. Bez. </note> </p> <p><lb n="pgo_139.025"/><anchor xml:id="go005"/> Jn dies Beiwort flüchtet sich die Kritik des Dichters über die ganze <lb n="pgo_139.026"/> Handlung. Es hat zu dem Substantivum, bei dem es steht, keine andere <lb n="pgo_139.027"/> Beziehung, als daß es dasselbe mit zum Träger des Gedankens macht. <anchor xml:id="go006"/> <note targetEnd="#go006" type="metapher" ana="#m1-0-1-2 #m1-2-1-0 #m1-3-1-0 #m1-6-2-1 #m1-7-2-0" target="#go005"> zugehöriger Poetikentext exempl. - Unterkat.: Adj. d. Bez. </note> <lb n="pgo_139.028"/> <anchor xml:id="go007"/> Goethe spricht vom „<hi rendition="#g">stolzen Licht,</hi>“ das der Mutter Nacht den Vorrang <lb n="pgo_139.029"/> streitig macht, von den „<hi rendition="#g">süßen Rosen.</hi>“ <anchor xml:id="go008"/> <note targetEnd="#go008" type="metapher" ana="#m1-0-3-0 #m1-2-1-0 #m1-3-1-4 #m1-6-2-1 #m1-7-2-0" target="#go007"> impl. Werk: ??? - Wortlaut? - Unterkat.: Adj. d. Bez. </note> <anchor xml:id="go009"/> Shakespeare ist reich an <lb n="pgo_139.030"/> solchen beziehungsreichen Beiwörtern: <anchor xml:id="go010"/> <note targetEnd="#go010" type="metapher" ana="#m1-0-1-2 #m1-2-1-1 #m1-3-1-10 1-4-2-0 #m1-7-2-0" target="#go009"> Werke: Kaufmann von Venedig, Wie es euch gefällt, Romeo und Julia - Unterkat.: Adj. d. Bez. </note> </p> <lb n="pgo_139.031"/> <anchor xml:id="go011"/> <lg> <l>Jch rath' euch lieber, in den <hi rendition="#g">kecksten Farben</hi></l> <lb n="pgo_139.032"/> <l>Der Lust zu kommen.</l> </lg> <lb n="pgo_139.033"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Kaufmann von Venedig</hi>.</hi> </p> <anchor xml:id="go012"/> <note targetEnd="#go012" type="metapher" ana="#m1-0-3-0 #m1-2-1-1 #m1-3-1-10 #m1-4-1-0 #m1-7-2-0" target="#go011"> Unterkat.: Adj. d. Bez. <bibl><title>William Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig</title><ref>https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn1w_0</ref></bibl> </note> <lb n="pgo_139.034"/> <anchor xml:id="go013"/> <lg> <l>Welch' eine Bürgerfrau nenn' ich mit Namen,</l> <lb n="pgo_139.035"/> <l>Wenn ich hehaupt', es tragen Bürgerfrau'n</l> <lb n="pgo_139.036"/> <l>Der Fürsten Aufwand auf <hi rendition="#g">unwürd'gen Schultern</hi>.</l> </lg> <lb n="pgo_139.037"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Wie es euch gefällt</hi>.</hi> </p> <anchor xml:id="go014"/> <note targetEnd="#go014" type="metapher" ana="#m1-0-3-0 #m1-2-1-1 #m1-3-1-10 #m1-4-1-0 #m1-7-2-0" target="#go013"> Unterk.: Adj. d. Bez. <bibl><title>William Shakespeare: Wie es euch gefällt </title><ref>https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn1b_0</ref></bibl> </note> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0161]
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Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne pgo_139.002
Der entsetzliche Hay, des Meeres Hyäne!
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Lenau wiederum liebt Beiwörter wie still, stumm, trüb, traut, pgo_139.004
dunkel, in denen sich die Melancholie seiner Seele malt.
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Alle diese Beiwörter fördern direct die Anschaulichkeit und die Stimmung. pgo_139.006
Hierher gehören auch die stereotypen Beiwörter Homer's: die pgo_139.007
rosenfingrige Eos, die blauäugige Athene, der blondgelockte Menelaos pgo_139.008
u. s. w. Eine größere Wirkung als diese einfachen Adjectiva bringen pgo_139.009
diejenigen hervor, in denen eine Metapher latent ist. Wir können pgo_139.010
jene Adjectiva der Bezeichnung, diese Adjectiva der Beziehung pgo_139.011
nennen. Hier handelt es sich nicht blos um ein epitheton ornans, pgo_139.012
um eine plastische, sinnliche, sittliche Bezeichnung; das Adjectivum trägt pgo_139.013
hier nicht blos die Fackel, um das Substantivum zu beleuchten; es steht pgo_139.014
sogar im offenen Widerspruch mit seinen Eigenschaften und wird ihm pgo_139.015
nur durch einen kühnen Machtspruch des Dichters beigegeben, welcher pgo_139.016
dann dem Substantivum eine Bedeutung unterschiebt, die ohne Zusammenhang pgo_139.017
mit seinem eigentlichen Wesen ist und sich gleichsam nur als ein pgo_139.018
Reflex aus der ganzen Situation, aus dem ganzen Gedanken auf dasselbe pgo_139.019
ergießt. So wenn einem sinnlichen todten Ding eine geistige pgo_139.020
Eigenschaft untergeschoben wird. Abgr. zwischen Adjektiv der Bezeichnung und der Beziehung (in letzterem Metapher) - Unterkat.: Adj. d. Bez. Heine sagt: pgo_139.021
Und das ist ein Drehn und Winden pgo_139.022
Vor den buntbemalten Puppen, pgo_139.023
Und das blökt und dampft und klingelt, pgo_139.024
Und die dummen Kerzen funkeln.
impl. Werk: Almansor - Bsp. für obige Abgr. - Unterkat.: Adj. d. Bez.
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Jn dies Beiwort flüchtet sich die Kritik des Dichters über die ganze pgo_139.026
Handlung. Es hat zu dem Substantivum, bei dem es steht, keine andere pgo_139.027
Beziehung, als daß es dasselbe mit zum Träger des Gedankens macht. zugehöriger Poetikentext exempl. - Unterkat.: Adj. d. Bez. pgo_139.028
Goethe spricht vom „stolzen Licht,“ das der Mutter Nacht den Vorrang pgo_139.029
streitig macht, von den „süßen Rosen.“ impl. Werk: ??? - Wortlaut? - Unterkat.: Adj. d. Bez. Shakespeare ist reich an pgo_139.030
solchen beziehungsreichen Beiwörtern: Werke: Kaufmann von Venedig, Wie es euch gefällt, Romeo und Julia - Unterkat.: Adj. d. Bez.
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Jch rath' euch lieber, in den kecksten Farben pgo_139.032
Der Lust zu kommen.
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Kaufmann von Venedig.
Unterkat.: Adj. d. Bez. William Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn1w_0 pgo_139.034
Welch' eine Bürgerfrau nenn' ich mit Namen, pgo_139.035
Wenn ich hehaupt', es tragen Bürgerfrau'n pgo_139.036
Der Fürsten Aufwand auf unwürd'gen Schultern.
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Wie es euch gefällt.
Unterk.: Adj. d. Bez. William Shakespeare: Wie es euch gefällt https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn1b_0
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