Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_145.001 Das drängt und stößt, das rauscht und klappert, pgo_145.009 Das zischt und quirlt, das zieht und plappert, pgo_145.010 Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt, pgo_145.011 Ein wahres Hexenelement! pgo_145.012 Wie wühlet pgo_145.016 Der Schmerz mir im Gebein. (Goethe.) pgo_145.017Das Herz zerbricht in mir. (Goethe.) pgo_145.018 Jm Winde bebt das Rohr. (Lenau.) pgo_145.021Wo verdorrte Disteln nicken. (Sallet.) pgo_145.022Das Grün des Frühling's mühte pgo_145.023 Sich mit vergeb'nen Mühn. (Rückert.) pgo_145.024 Des Sturmes Gesang durchtönt die glühende Wüste*).
*) pgo_145.030
Sallet im "Prometheus" sagt: die Flamme mußte sie durchrasen, Gottes pgo_145.031 Odem sollte sie durchleuchten. Ebenso Neubildungen mit ver, ent, zer: ich pgo_145.032 habe mein Leben verträumt und vertrauert (Chamisso), das Schattenbild pgo_145.033 zerflittert (Dingelstedt), mit um: umzischt von der Meerfluth (Freiligrath); pgo_145.034 umflort von eitlem Glaß (Lenau); umwölbt vom Portal (Geibel); pgo_145.001 Das drängt und stößt, das rauscht und klappert, pgo_145.009 Das zischt und quirlt, das zieht und plappert, pgo_145.010 Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt, pgo_145.011 Ein wahres Hexenelement! pgo_145.012 Wie wühlet pgo_145.016 Der Schmerz mir im Gebein. (Goethe.) pgo_145.017Das Herz zerbricht in mir. (Goethe.) pgo_145.018 Jm Winde bebt das Rohr. (Lenau.) pgo_145.021Wo verdorrte Disteln nicken. (Sallet.) pgo_145.022Das Grün des Frühling's mühte pgo_145.023 Sich mit vergeb'nen Mühn. (Rückert.) pgo_145.024 Des Sturmes Gesang durchtönt die glühende Wüste*).
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Sallet im „Prometheus“ sagt: die Flamme mußte sie durchrasen, Gottes pgo_145.031 Odem sollte sie durchleuchten. Ebenso Neubildungen mit ver, ent, zer: ich pgo_145.032 habe mein Leben verträumt und vertrauert (Chamisso), das Schattenbild pgo_145.033 zerflittert (Dingelstedt), mit um: umzischt von der Meerfluth (Freiligrath); pgo_145.034 umflort von eitlem Glaß (Lenau); umwölbt vom Portal (Geibel); <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0167" n="145"/><lb n="pgo_145.001"/> zu abstract verklingen, sondern sinnliche Anschaulichkeit und Lebendigkeit <lb n="pgo_145.002"/> haben; Zeitwörter, die für die Sinne malen, z. B. irgend einen Klang <lb n="pgo_145.003"/> für das Ohr darstellen, indem der deutsche Sprachschatz an ihnen außerordentlich <lb n="pgo_145.004"/> reich ist. Eine Häufung von Verben kann einen onomatopöischen <lb n="pgo_145.005"/> Anstrich hervorbringen, wie in dem bekannten Gedicht von <lb n="pgo_145.006"/> <hi rendition="#g">August Kopisch:</hi> „Die Heinzelmännchen“ oder in jener Stelle der <lb n="pgo_145.007"/> „Walpurgisnacht“:</p> <lb n="pgo_145.008"/> <lg> <l>Das <hi rendition="#g">drängt</hi> und <hi rendition="#g">stößt,</hi> das <hi rendition="#g">rauscht</hi> und <hi rendition="#g">klappert,</hi></l> <lb n="pgo_145.009"/> <l>Das <hi rendition="#g">zischt</hi> und <hi rendition="#g">quirlt,</hi> das <hi rendition="#g">zieht</hi> und <hi rendition="#g">plappert,</hi></l> <lb n="pgo_145.010"/> <l>Das <hi rendition="#g">leuchtet, sprüht</hi> und <hi rendition="#g">stinkt</hi> und <hi rendition="#g">brennt,</hi></l> <lb n="pgo_145.011"/> <l>Ein wahres Hexenelement!</l> </lg> <p><lb n="pgo_145.012"/> Die größere Anschaulichkeit wird erreicht, wenn das Verbum dem <lb n="pgo_145.013"/> Subject, das Gedanken oder Empfindungen ausdrückt, einen sinnlichen <lb n="pgo_145.014"/> Zustand oder eine sinnliche Thätigkeit zuschreibt:</p> <lb n="pgo_145.015"/> <lg> <l>Wie <hi rendition="#g">wühlet</hi></l> <lb n="pgo_145.016"/> <l>Der Schmerz mir im Gebein.</l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Goethe.</hi>)</p> <lb n="pgo_145.017"/> <lg> <l>Das Herz <hi rendition="#g">zerbricht</hi> in mir.</l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Goethe</hi>.)</p> <p><lb n="pgo_145.018"/> oder umgekehrt, wenn einem sinnlichen Subject ein geistiger Zustand oder <lb n="pgo_145.019"/> eine geistige Thätigkeit zugeschrieben wird:</p> <lb n="pgo_145.020"/> <lg> <l>Jm Winde <hi rendition="#g">bebt</hi> das Rohr.</l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Lenau.</hi>)</p> <lb n="pgo_145.021"/> <lg> <l>Wo verdorrte Disteln <hi rendition="#g">nicken.</hi></l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Sallet.</hi>)</p> <lb n="pgo_145.022"/> <lg> <l>Das Grün des Frühling's <hi rendition="#g">mühte</hi></l> <lb n="pgo_145.023"/> <l>Sich mit vergeb'nen <hi rendition="#g">Mühn.</hi></l> </lg> <p>(<hi rendition="#g">Rückert</hi>.)</p> <p><lb n="pgo_145.024"/> Das <hi rendition="#g">Verbum</hi> gewinnt Kraft und Frische und Neuheit, wenn es die <lb n="pgo_145.025"/> Bestimmung, statt sie als ein todtes Vorwort vor das regierte Substantivum <lb n="pgo_145.026"/> zu setzen, in sich hineinnimmt. Statt zu sagen: „des Sturmes <lb n="pgo_145.027"/> Gesang <hi rendition="#g">tönt durch</hi> die glühende Wüste“ ist es kräftiger, mit Lenau zu <lb n="pgo_145.028"/> sagen:</p> <lb n="pgo_145.029"/> <lg> <l>Des Sturmes Gesang <hi rendition="#g">durchtönt</hi> die glühende Wüste<note xml:id="PGO_145_1a" n="*)" place="foot" next="#PGO_145_1b"><lb n="pgo_145.030"/><hi rendition="#g">Sallet</hi> im „Prometheus“ sagt: die Flamme mußte sie <hi rendition="#g">durchrasen,</hi> Gottes <lb n="pgo_145.031"/> Odem sollte sie <hi rendition="#g">durchleuchten.</hi> Ebenso Neubildungen mit <hi rendition="#g">ver, ent, zer:</hi> ich <lb n="pgo_145.032"/> habe mein Leben <hi rendition="#g">verträumt</hi> und <hi rendition="#g">vertrauert (Chamisso</hi>), das Schattenbild <lb n="pgo_145.033"/> <hi rendition="#g">zerflittert (Dingelstedt</hi>), mit <hi rendition="#g">um: umzischt</hi> von der Meerfluth (<hi rendition="#g">Freiligrath); <lb n="pgo_145.034"/> umflort</hi> von eitlem Glaß (<hi rendition="#g">Lenau); umwölbt</hi> vom Portal (<hi rendition="#g">Geibel</hi>); </note>.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0167]
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zu abstract verklingen, sondern sinnliche Anschaulichkeit und Lebendigkeit pgo_145.002
haben; Zeitwörter, die für die Sinne malen, z. B. irgend einen Klang pgo_145.003
für das Ohr darstellen, indem der deutsche Sprachschatz an ihnen außerordentlich pgo_145.004
reich ist. Eine Häufung von Verben kann einen onomatopöischen pgo_145.005
Anstrich hervorbringen, wie in dem bekannten Gedicht von pgo_145.006
August Kopisch: „Die Heinzelmännchen“ oder in jener Stelle der pgo_145.007
„Walpurgisnacht“:
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Das drängt und stößt, das rauscht und klappert, pgo_145.009
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert, pgo_145.010
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt, pgo_145.011
Ein wahres Hexenelement!
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Die größere Anschaulichkeit wird erreicht, wenn das Verbum dem pgo_145.013
Subject, das Gedanken oder Empfindungen ausdrückt, einen sinnlichen pgo_145.014
Zustand oder eine sinnliche Thätigkeit zuschreibt:
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Wie wühlet pgo_145.016
Der Schmerz mir im Gebein.
(Goethe.)
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Das Herz zerbricht in mir.
(Goethe.)
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oder umgekehrt, wenn einem sinnlichen Subject ein geistiger Zustand oder pgo_145.019
eine geistige Thätigkeit zugeschrieben wird:
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Jm Winde bebt das Rohr.
(Lenau.)
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Wo verdorrte Disteln nicken.
(Sallet.)
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Das Grün des Frühling's mühte pgo_145.023
Sich mit vergeb'nen Mühn.
(Rückert.)
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Das Verbum gewinnt Kraft und Frische und Neuheit, wenn es die pgo_145.025
Bestimmung, statt sie als ein todtes Vorwort vor das regierte Substantivum pgo_145.026
zu setzen, in sich hineinnimmt. Statt zu sagen: „des Sturmes pgo_145.027
Gesang tönt durch die glühende Wüste“ ist es kräftiger, mit Lenau zu pgo_145.028
sagen:
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Des Sturmes Gesang durchtönt die glühende Wüste *).
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Sallet im „Prometheus“ sagt: die Flamme mußte sie durchrasen, Gottes pgo_145.031
Odem sollte sie durchleuchten. Ebenso Neubildungen mit ver, ent, zer: ich pgo_145.032
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umflort von eitlem Glaß (Lenau); umwölbt vom Portal (Geibel);
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