Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_151.001 pgo_151.019 Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne pgo_151.029 pgo_151.035Sie noch einmal in's Aug', die schnellverschwindende, faßte, pgo_151.030 Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens pgo_151.031 Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet, pgo_151.032 Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: pgo_151.033 So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens pgo_151.034 Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen. Goethe, Hermann und Dorothea. pgo_151.036 pgo_151.001 pgo_151.019 Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne pgo_151.029 pgo_151.035Sie noch einmal in's Aug', die schnellverschwindende, faßte, pgo_151.030 Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens pgo_151.031 Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet, pgo_151.032 Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: pgo_151.033 So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens pgo_151.034 Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen. Goethe, Hermann und Dorothea. pgo_151.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0173" n="151"/><lb n="pgo_151.001"/> ist. Denn wenn auch die dichterische Vergleichung ein helleres und lebhafteres <lb n="pgo_151.002"/> Licht auf den Gegenstand fallen läßt, so hat doch das Bild in <lb n="pgo_151.003"/> ihr seinen selbstständigen Reiz, und gerade dadurch unterscheidet sie sich <lb n="pgo_151.004"/> von den anderen bildlichen Wendungen. Das <foreign xml:lang="lat">tertium comparationis</foreign> <lb n="pgo_151.005"/> ist hier nicht blos ein Punkt der Vergleichung, sondern auch ein Punkt <lb n="pgo_151.006"/> der Verknüpfung für zwei Anschauungen, wodurch es dem Dichter möglich <lb n="pgo_151.007"/> gemacht wird, den Kreis seiner Schilderung zu erweitern und jenes <lb n="pgo_151.008"/> freieren Schwunges der Phantasie zu genießen, der Nahes und Fernes <lb n="pgo_151.009"/> verknüpft. Giebt nicht die epische Vergleichung dem Sänger der Jlias <lb n="pgo_151.010"/> ein anmuthiges Recht, das von den blutigen Bildern der Schlacht ermüdete <lb n="pgo_151.011"/> Auge auf irgend einem stilleren idyllischen Bilde ausruhen zu lassen, <lb n="pgo_151.012"/> das uns eine Scene aus dem Thierleben oder aus dem Lebenskreise des <lb n="pgo_151.013"/> Landmannes in heiterem, landschaftlichem Rahmen entrollt? Und verweilt <lb n="pgo_151.014"/> Homer nicht bei dieser idyllischen Schilderung mit dem ausruhenden <lb n="pgo_151.015"/> Behagen eines Rossetummlers, der sein entschirrtes Gespann, matt <lb n="pgo_151.016"/> vom Kampfe, auf fröhlicher Weide grasen läßt? Nicht zur <hi rendition="#g">Verschönerung <lb n="pgo_151.017"/> des Ausdruckes,</hi> sondern zur <hi rendition="#g">Bereicherung der Anschauungen</hi> <lb n="pgo_151.018"/> dient die Vergleichung.</p> <p><lb n="pgo_151.019"/> Hieraus geht schon hervor, daß dies verweilende Bild vorzugsweise <lb n="pgo_151.020"/> der verweilenden Dichtgattung, dem <hi rendition="#g">Epos,</hi> angemessen ist, und wieder <lb n="pgo_151.021"/> vorzugsweise dem antiken Epos, weil die Vergleichung als das <hi rendition="#g">plastische <lb n="pgo_151.022"/> Bild</hi> dem plastischen Style des Alterthums entspricht. Ja man <lb n="pgo_151.023"/> könnte das antike Epos, besonders die Jlias, mit dem Schilde des Achilleus <lb n="pgo_151.024"/> selbst vergleichen, da sich, wie um diesen die heiteren Reliefs des <lb n="pgo_151.025"/> Bildners, um dasselbe ein Kranz plastischer Vergleichungen hinzieht. <lb n="pgo_151.026"/> Auch das neuere Epos folgt in Bezug auf behagliche Ausmalung dem <lb n="pgo_151.027"/> antiken Muster:</p> <lb n="pgo_151.028"/> <lg> <l>Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne</l> <lb n="pgo_151.029"/> <l>Sie noch einmal in's Aug', die schnellverschwindende, faßte,</l> <lb n="pgo_151.030"/> <l>Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens</l> <lb n="pgo_151.031"/> <l>Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet,</l> <lb n="pgo_151.032"/> <l>Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben:</l> <lb n="pgo_151.033"/> <l>So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens</l> <lb n="pgo_151.034"/> <l>Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen.</l> </lg> <lb n="pgo_151.035"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Goethe,</hi> Hermann und Dorothea.</hi> </p> <p><lb n="pgo_151.036"/> Diese Vergleichung giebt uns zugleich ein schlagendes Beispiel von </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0173]
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ist. Denn wenn auch die dichterische Vergleichung ein helleres und lebhafteres pgo_151.002
Licht auf den Gegenstand fallen läßt, so hat doch das Bild in pgo_151.003
ihr seinen selbstständigen Reiz, und gerade dadurch unterscheidet sie sich pgo_151.004
von den anderen bildlichen Wendungen. Das tertium comparationis pgo_151.005
ist hier nicht blos ein Punkt der Vergleichung, sondern auch ein Punkt pgo_151.006
der Verknüpfung für zwei Anschauungen, wodurch es dem Dichter möglich pgo_151.007
gemacht wird, den Kreis seiner Schilderung zu erweitern und jenes pgo_151.008
freieren Schwunges der Phantasie zu genießen, der Nahes und Fernes pgo_151.009
verknüpft. Giebt nicht die epische Vergleichung dem Sänger der Jlias pgo_151.010
ein anmuthiges Recht, das von den blutigen Bildern der Schlacht ermüdete pgo_151.011
Auge auf irgend einem stilleren idyllischen Bilde ausruhen zu lassen, pgo_151.012
das uns eine Scene aus dem Thierleben oder aus dem Lebenskreise des pgo_151.013
Landmannes in heiterem, landschaftlichem Rahmen entrollt? Und verweilt pgo_151.014
Homer nicht bei dieser idyllischen Schilderung mit dem ausruhenden pgo_151.015
Behagen eines Rossetummlers, der sein entschirrtes Gespann, matt pgo_151.016
vom Kampfe, auf fröhlicher Weide grasen läßt? Nicht zur Verschönerung pgo_151.017
des Ausdruckes, sondern zur Bereicherung der Anschauungen pgo_151.018
dient die Vergleichung.
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Hieraus geht schon hervor, daß dies verweilende Bild vorzugsweise pgo_151.020
der verweilenden Dichtgattung, dem Epos, angemessen ist, und wieder pgo_151.021
vorzugsweise dem antiken Epos, weil die Vergleichung als das plastische pgo_151.022
Bild dem plastischen Style des Alterthums entspricht. Ja man pgo_151.023
könnte das antike Epos, besonders die Jlias, mit dem Schilde des Achilleus pgo_151.024
selbst vergleichen, da sich, wie um diesen die heiteren Reliefs des pgo_151.025
Bildners, um dasselbe ein Kranz plastischer Vergleichungen hinzieht. pgo_151.026
Auch das neuere Epos folgt in Bezug auf behagliche Ausmalung dem pgo_151.027
antiken Muster:
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Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne pgo_151.029
Sie noch einmal in's Aug', die schnellverschwindende, faßte, pgo_151.030
Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens pgo_151.031
Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet, pgo_151.032
Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: pgo_151.033
So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens pgo_151.034
Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen.
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Goethe, Hermann und Dorothea.
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Diese Vergleichung giebt uns zugleich ein schlagendes Beispiel von
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