Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_154.001 Der Buchenwald ist herbstlich schon geröthet, pgo_154.002 pgo_154.004Sowie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben, pgo_154.003 Wenn flüchtig noch sich seine Wangen färben. Das Bächlein zieht und rieselt kaum zu hören pgo_154.005 pgo_154.008Das Thal hinab, und seine Wellen gleiten, pgo_154.006 Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten, pgo_154.007 Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören. Lenau. pgo_154.009 Kaum daß ein leises Weh pgo_154.017 Durchgleitet mein Gemüth, pgo_154.018 Wie durch die stumme See pgo_154.019 Ein weißes Segel zieht. pgo_154.020 pgo_154.001 Der Buchenwald ist herbstlich schon geröthet, pgo_154.002 pgo_154.004Sowie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben, pgo_154.003 Wenn flüchtig noch sich seine Wangen färben. Das Bächlein zieht und rieselt kaum zu hören pgo_154.005 pgo_154.008Das Thal hinab, und seine Wellen gleiten, pgo_154.006 Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten, pgo_154.007 Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören. Lenau. pgo_154.009 Kaum daß ein leises Weh pgo_154.017 Durchgleitet mein Gemüth, pgo_154.018 Wie durch die stumme See pgo_154.019 Ein weißes Segel zieht. pgo_154.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0176" n="154"/> <lb n="pgo_154.001"/> <lg> <l>Der Buchenwald ist herbstlich schon geröthet,</l> <lb n="pgo_154.002"/> <l>Sowie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben,</l> <lb n="pgo_154.003"/> <l>Wenn flüchtig noch sich seine Wangen färben.</l> </lg> <lb n="pgo_154.004"/> <lg> <l>Das Bächlein zieht und rieselt kaum zu hören</l> <lb n="pgo_154.005"/> <l>Das Thal hinab, und seine Wellen gleiten,</l> <lb n="pgo_154.006"/> <l>Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten,</l> <lb n="pgo_154.007"/> <l>Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören.</l> </lg> <lb n="pgo_154.008"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Lenau</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_154.009"/> Jn diesen schönen Vergleichungen ist nicht nur das <foreign xml:lang="lat">tertium comparationis</foreign> <lb n="pgo_154.010"/> durch seine sinnliche Wahrheit einleuchtend, sondern die Bilder <lb n="pgo_154.011"/> hauchen selbst jene melancholische Stimmung aus, welche die Einheit des <lb n="pgo_154.012"/> ganzen Gedichtes ist. Das Dichtergemüth, das in eine bestimmte <lb n="pgo_154.013"/> Situation versenkt ist, wird von selbst zu Vergleichungen greifen, welche <lb n="pgo_154.014"/> aus ihr hervorgehn und z. B. das Naturbild mit der Stimmung der <lb n="pgo_154.015"/> Seele verknüpfen. So singt <hi rendition="#g">Meissner</hi> „am Meere“:</p> <lb n="pgo_154.016"/> <lg> <l>Kaum daß ein leises Weh</l> <lb n="pgo_154.017"/> <l>Durchgleitet mein Gemüth,</l> <lb n="pgo_154.018"/> <l>Wie durch die stumme See</l> <lb n="pgo_154.019"/> <l>Ein weißes Segel zieht.</l> </lg> <p><lb n="pgo_154.020"/> Jn den Vergleichungen Ossian's herrscht eine aller plastischen <lb n="pgo_154.021"/> Anschauung widersprechende Gleichsetzung des Naturbildes und der <lb n="pgo_154.022"/> Gemüthsstimmung, und zwar ist es bei ihm selten die Thierwelt, meist <lb n="pgo_154.023"/> die landschaftliche Natur mit ihrer wechselnden Beleuchtung, welche ihm <lb n="pgo_154.024"/> den Stoff seiner Bilder giebt. Wenn Homer seine Helden mit den <lb n="pgo_154.025"/> Löwen, Firdusi mit den Elephanten vergleicht: so vergleicht sie Ossian <lb n="pgo_154.026"/> mit der <hi rendition="#g">Sonne,</hi> mit der <hi rendition="#g">Wolke,</hi> mit dem <hi rendition="#g">Nebel.</hi> Nur ein <lb n="pgo_154.027"/> Gemüth, das bereits seine eigene Stimmung in die Natur hineingeschaut, <lb n="pgo_154.028"/> kann solche Bilder wieder aus ihr herausgreifen. Wenn z. B. <lb n="pgo_154.029"/> Ossian sagt: „Angenehm sind die Worte des Gesanges und lieblich sind <lb n="pgo_154.030"/> die Geschichten vergangener Zeiten. Sie sind wie der Thau des Morgens <lb n="pgo_154.031"/> auf dem Rehhügel, wenn die Sonne schwach auf seiner Seite <lb n="pgo_154.032"/> schimmert und der Teich unbewegt und blau in dem Thale steht“ — so <lb n="pgo_154.033"/> liegt hier das <foreign xml:lang="lat">tertium comparationis</foreign> in der melancholischen Lieblichkeit <lb n="pgo_154.034"/> des Eindruckes, die rein subjektiver Art ist, und nur in einem Nebenzug, <lb n="pgo_154.035"/> im schwachen Schimmer der Sonne, liegt ein Halt für die Anschaulichkeit <lb n="pgo_154.036"/> des Bildes.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0176]
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Der Buchenwald ist herbstlich schon geröthet, pgo_154.002
Sowie ein Kranker, der sich neigt zum Sterben, pgo_154.003
Wenn flüchtig noch sich seine Wangen färben.
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Das Bächlein zieht und rieselt kaum zu hören pgo_154.005
Das Thal hinab, und seine Wellen gleiten, pgo_154.006
Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten, pgo_154.007
Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören.
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Lenau.
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Jn diesen schönen Vergleichungen ist nicht nur das tertium comparationis pgo_154.010
durch seine sinnliche Wahrheit einleuchtend, sondern die Bilder pgo_154.011
hauchen selbst jene melancholische Stimmung aus, welche die Einheit des pgo_154.012
ganzen Gedichtes ist. Das Dichtergemüth, das in eine bestimmte pgo_154.013
Situation versenkt ist, wird von selbst zu Vergleichungen greifen, welche pgo_154.014
aus ihr hervorgehn und z. B. das Naturbild mit der Stimmung der pgo_154.015
Seele verknüpfen. So singt Meissner „am Meere“:
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Kaum daß ein leises Weh pgo_154.017
Durchgleitet mein Gemüth, pgo_154.018
Wie durch die stumme See pgo_154.019
Ein weißes Segel zieht.
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Jn den Vergleichungen Ossian's herrscht eine aller plastischen pgo_154.021
Anschauung widersprechende Gleichsetzung des Naturbildes und der pgo_154.022
Gemüthsstimmung, und zwar ist es bei ihm selten die Thierwelt, meist pgo_154.023
die landschaftliche Natur mit ihrer wechselnden Beleuchtung, welche ihm pgo_154.024
den Stoff seiner Bilder giebt. Wenn Homer seine Helden mit den pgo_154.025
Löwen, Firdusi mit den Elephanten vergleicht: so vergleicht sie Ossian pgo_154.026
mit der Sonne, mit der Wolke, mit dem Nebel. Nur ein pgo_154.027
Gemüth, das bereits seine eigene Stimmung in die Natur hineingeschaut, pgo_154.028
kann solche Bilder wieder aus ihr herausgreifen. Wenn z. B. pgo_154.029
Ossian sagt: „Angenehm sind die Worte des Gesanges und lieblich sind pgo_154.030
die Geschichten vergangener Zeiten. Sie sind wie der Thau des Morgens pgo_154.031
auf dem Rehhügel, wenn die Sonne schwach auf seiner Seite pgo_154.032
schimmert und der Teich unbewegt und blau in dem Thale steht“ — so pgo_154.033
liegt hier das tertium comparationis in der melancholischen Lieblichkeit pgo_154.034
des Eindruckes, die rein subjektiver Art ist, und nur in einem Nebenzug, pgo_154.035
im schwachen Schimmer der Sonne, liegt ein Halt für die Anschaulichkeit pgo_154.036
des Bildes.
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