Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_155.001 pgo_155.013 2. Die Metapher. pgo_155.014 der Redeweise des Volkes, in den Ausbrüchen der Leidenschaft in Anwendung pgo_155.020 kommt, so strömt sie einer reichen Phantasie auch im reichen Maaße pgo_155.021 zu, ohne Zwang und Gewaltsamkeit. [Annotation] Sie ist das dichterische Bild pgo_155.022 kat' exokhen, und die überwiegende Mehrzahl der von den Dichtern angewendeten pgo_155.023 Bilder muß zu den Metaphern gerechnet werden. [Annotation] Wir pgo_155.024 haben oben gesehen, wie die Sprache selbst reich ist an inkarnirten Metaphern, pgo_155.025 die ihre sinnliche Blüthe bereits gegen ihre geistige Bedeutung pgo_155.026 verloren haben; wir haben Adjektiva und Verba von metaphorischer pgo_155.027 Kraft erwähnt. Der naive Vorgang der Sprach-Entwickelung selbst pgo_155.028 beweist zur Genüge, daß die Metapher nicht eine leere Zierde des dichterischen pgo_155.029 Ausdruckes, sondern eine innere Nothwendigkeit desselben ist. *) pgo_155.030 In totum autem metaphora brevior est similitudo, eoque distat, quod illa pgo_155.031 comparatur rei, quam volumus suprimere, haec pro ipsa re dicitur. Quint. VIII. 6. 9. **) pgo_155.032
Metaphora cum ita est ab ipsa nobis concessa natura, ut indocti quoque ac pgo_155.033 non sentientes ea frequenter utantur, tum ita iucunda atque nitida, ut in oratione pgo_155.034 quamlibet docta, proprio tamen lumine eluceat. Quint. VIII, 6, 4. pgo_155.001 pgo_155.013 2. Die Metapher. pgo_155.014 der Redeweise des Volkes, in den Ausbrüchen der Leidenschaft in Anwendung pgo_155.020 kommt, so strömt sie einer reichen Phantasie auch im reichen Maaße pgo_155.021 zu, ohne Zwang und Gewaltsamkeit. [Annotation] Sie ist das dichterische Bild pgo_155.022 κατ' ἐξοχήν, und die überwiegende Mehrzahl der von den Dichtern angewendeten pgo_155.023 Bilder muß zu den Metaphern gerechnet werden. [Annotation] Wir pgo_155.024 haben oben gesehen, wie die Sprache selbst reich ist an inkarnirten Metaphern, pgo_155.025 die ihre sinnliche Blüthe bereits gegen ihre geistige Bedeutung pgo_155.026 verloren haben; wir haben Adjektiva und Verba von metaphorischer pgo_155.027 Kraft erwähnt. Der naive Vorgang der Sprach-Entwickelung selbst pgo_155.028 beweist zur Genüge, daß die Metapher nicht eine leere Zierde des dichterischen pgo_155.029 Ausdruckes, sondern eine innere Nothwendigkeit desselben ist. *) pgo_155.030 In totum autem metaphora brevior est similitudo, eoque distat, quod illa pgo_155.031 comparatur rei, quam volumus suprimere, haec pro ipsa re dicitur. Quint. VIII. 6. 9. **) pgo_155.032
Metaphora cum ita est ab ipsa nobis concessa natura, ut indocti quoque ac pgo_155.033 non sentientes ea frequenter utantur, tum ita iucunda atque nitida, ut in oratione pgo_155.034 quamlibet docta, proprio tamen lumine eluceat. Quint. VIII, 6, 4. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0177" n="155"/> <p><lb n="pgo_155.001"/> Jm Drama sind ausgeführte Vergleichungen ein offenbarer Fehler, <lb n="pgo_155.002"/> weil sie die innere und äußere Handlung hemmen. Auch die Rechtfertigung <lb n="pgo_155.003"/> Hegel's, daß ein Gemüth, das sich ihnen hingiebt, sich dadurch als <lb n="pgo_155.004"/> eine edle Natur zeige, die über der bestimmten Leidenschaft und Situation <lb n="pgo_155.005"/> steht, scheint uns gesucht. <anchor xml:id="go033"/> Shakespeare ist zwar reich an Vergleichungen; <lb n="pgo_155.006"/> aber diese Vergleichungen sind eigentlich nur <hi rendition="#g">aufgeblätterte <lb n="pgo_155.007"/> Metaphern!</hi> Sie haben alle unmittelbare Schlagkraft, und <lb n="pgo_155.008"/> niemals, selbst in den Zuständen der Reflexion, läßt sich der große Dramatiker <lb n="pgo_155.009"/> auf jene epische Vergleichungsweise ein, welche im Ausmalen <lb n="pgo_155.010"/> der Nebenbestimmungen schwelgt. Jeder <hi rendition="#g">Zug</hi> ist zugleich eine <hi rendition="#g">schlagende <lb n="pgo_155.011"/> Beziehung,</hi> und dadurch ist das Behagen der eigentlichen <lb n="pgo_155.012"/> Vergleichung aufgelöst. <anchor xml:id="go034"/> <note targetEnd="#go034" type="metapher" ana="#m1-0-1-2 #m1-2-5 #m1-3-1-10 #m1-8-1-2" target="#go033"/> </p> </div> <div n="6"> <lb n="pgo_155.013"/> <head> <hi rendition="#c">2. <hi rendition="#g">Die Metapher.</hi></hi> </head> <p><anchor xml:id="go035"/><lb n="pgo_155.014"/> Die <hi rendition="#g">Metapher</hi> ist eine koncentrirte Vergleichung, bei welcher statt <lb n="pgo_155.015"/> des Gegenstandes, der verglichen wird, unmittelbar derjenige gesetzt <lb n="pgo_155.016"/> wird, mit dem die Vergleichung Statt findet — eine kühne Metamorphose <lb n="pgo_155.017"/> der Phantasie<note xml:id="PGO_155_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_155.030"/> In totum autem metaphora brevior est similitudo, eoque distat, quod illa <lb n="pgo_155.031"/> comparatur rei, quam volumus suprimere, haec pro ipsa re dicitur. Quint. VIII. 6. 9.</note>. Auf der Metapher beruht vorzugsweise Anmuth, <lb n="pgo_155.018"/> Kraft und Glanz der Rede<note xml:id="PGO_155_2" place="foot" n="**)"><lb n="pgo_155.032"/> Metaphora cum ita est ab ipsa nobis concessa natura, ut indocti quoque ac <lb n="pgo_155.033"/> non sentientes ea frequenter utantur, tum ita iucunda atque nitida, ut in oratione <lb n="pgo_155.034"/> quamlibet docta, proprio tamen lumine eluceat. Quint. VIII, 6, 4.</note>; <anchor xml:id="go036"/> <note targetEnd="#go036" type="metapher" ana="#m1-0-2-0 #m1-2-3 1-3-1-8 #m1-4-1-0 #m1-7-1-1 #m1-8-1-2" target="#go035"> Verweis auf Quintilian in Fußnote, darum als paraphras. Sekundärlit. annotiert <bibl><title>Quintilian</title><biblScope>VIII, 6, 4</biblScope><ref>http://data.perseus.org/citations/urn:cts:latinLit:phi1002.phi0018.perseus-lat1:pr.6</ref></bibl> </note> <anchor xml:id="go037"/> wie sie selbst im gewöhnlichen Leben, in <lb n="pgo_155.019"/> der Redeweise des Volkes, in den Ausbrüchen der Leidenschaft in Anwendung <lb n="pgo_155.020"/> kommt, so strömt sie einer reichen Phantasie auch im reichen Maaße <lb n="pgo_155.021"/> zu, ohne Zwang und Gewaltsamkeit. <anchor xml:id="go038"/> <note targetEnd="#go038" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-11-1" target="#go037"/> <anchor xml:id="go039"/> Sie ist das dichterische <hi rendition="#g">Bild</hi> <lb n="pgo_155.022"/> <foreign xml:lang="grc">κατ' ἐξοχήν</foreign>, und die überwiegende Mehrzahl der von den Dichtern angewendeten <lb n="pgo_155.023"/> Bilder muß zu den <hi rendition="#g">Metaphern</hi> gerechnet werden. <anchor xml:id="go040"/> <note targetEnd="#go040" type="metapher" ana="#m1-0-1-1" target="#go039"/> <anchor xml:id="go041"/> Wir <lb n="pgo_155.024"/> haben oben gesehen, wie die Sprache selbst reich ist an inkarnirten Metaphern, <lb n="pgo_155.025"/> die ihre sinnliche Blüthe bereits gegen ihre geistige Bedeutung <lb n="pgo_155.026"/> verloren haben; wir haben Adjektiva und Verba von metaphorischer <lb n="pgo_155.027"/> Kraft erwähnt. Der naive Vorgang der Sprach-Entwickelung selbst <lb n="pgo_155.028"/> beweist zur Genüge, daß die Metapher nicht eine leere Zierde des dichterischen <lb n="pgo_155.029"/> Ausdruckes, sondern eine innere Nothwendigkeit desselben ist. </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [155/0177]
pgo_155.001
Jm Drama sind ausgeführte Vergleichungen ein offenbarer Fehler, pgo_155.002
weil sie die innere und äußere Handlung hemmen. Auch die Rechtfertigung pgo_155.003
Hegel's, daß ein Gemüth, das sich ihnen hingiebt, sich dadurch als pgo_155.004
eine edle Natur zeige, die über der bestimmten Leidenschaft und Situation pgo_155.005
steht, scheint uns gesucht. Shakespeare ist zwar reich an Vergleichungen; pgo_155.006
aber diese Vergleichungen sind eigentlich nur aufgeblätterte pgo_155.007
Metaphern! Sie haben alle unmittelbare Schlagkraft, und pgo_155.008
niemals, selbst in den Zuständen der Reflexion, läßt sich der große Dramatiker pgo_155.009
auf jene epische Vergleichungsweise ein, welche im Ausmalen pgo_155.010
der Nebenbestimmungen schwelgt. Jeder Zug ist zugleich eine schlagende pgo_155.011
Beziehung, und dadurch ist das Behagen der eigentlichen pgo_155.012
Vergleichung aufgelöst.
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2. Die Metapher. pgo_155.014
Die Metapher ist eine koncentrirte Vergleichung, bei welcher statt pgo_155.015
des Gegenstandes, der verglichen wird, unmittelbar derjenige gesetzt pgo_155.016
wird, mit dem die Vergleichung Statt findet — eine kühne Metamorphose pgo_155.017
der Phantasie *). Auf der Metapher beruht vorzugsweise Anmuth, pgo_155.018
Kraft und Glanz der Rede **); Verweis auf Quintilian in Fußnote, darum als paraphras. Sekundärlit. annotiert Quintilian VIII, 6, 4 http://data.perseus.org/citations/urn:cts:latinLit:phi1002.phi0018.perseus-lat1:pr.6 wie sie selbst im gewöhnlichen Leben, in pgo_155.019
der Redeweise des Volkes, in den Ausbrüchen der Leidenschaft in Anwendung pgo_155.020
kommt, so strömt sie einer reichen Phantasie auch im reichen Maaße pgo_155.021
zu, ohne Zwang und Gewaltsamkeit. Sie ist das dichterische Bild pgo_155.022
κατ' ἐξοχήν, und die überwiegende Mehrzahl der von den Dichtern angewendeten pgo_155.023
Bilder muß zu den Metaphern gerechnet werden. Wir pgo_155.024
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verloren haben; wir haben Adjektiva und Verba von metaphorischer pgo_155.027
Kraft erwähnt. Der naive Vorgang der Sprach-Entwickelung selbst pgo_155.028
beweist zur Genüge, daß die Metapher nicht eine leere Zierde des dichterischen pgo_155.029
Ausdruckes, sondern eine innere Nothwendigkeit desselben ist.
*) pgo_155.030
In totum autem metaphora brevior est similitudo, eoque distat, quod illa pgo_155.031
comparatur rei, quam volumus suprimere, haec pro ipsa re dicitur. Quint. VIII. 6. 9.
**) pgo_155.032
Metaphora cum ita est ab ipsa nobis concessa natura, ut indocti quoque ac pgo_155.033
non sentientes ea frequenter utantur, tum ita iucunda atque nitida, ut in oratione pgo_155.034
quamlibet docta, proprio tamen lumine eluceat. Quint. VIII, 6, 4.
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