Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_163.001 Bedächtig stieg die Nacht an's Land, pgo_163.010 Lehnt träumend an der Berge Wand, pgo_163.011 Jhr Auge sieht die gold'ne Wage nun pgo_163.012 Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn u. s. f. pgo_163.013 O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl, pgo_163.015 Empfange nun, empfange pgo_163.016 Den sehnsuchtsvollen Leib einmal pgo_163.017 Und küsse Brust und Wange! pgo_163.018 Er fühlt mir schon herauf die Brust, pgo_163.019 Er kühlt mit Liebesschauerlust pgo_163.020 Und jauchzendem Gesange. pgo_163.021 Du murmelst so, mein Fluß, warum? pgo_163.024 Du trägst seit alten Tagen pgo_163.025 Ein seltsam Märchen mit dir um, pgo_163.026 Und mühst dich, es zu sagen; pgo_163.027 Du eilst so sehr und läufst so sehr pgo_163.028 Als müßtest du im Land umher pgo_163.029 Jch weiß nicht wen drum fragen. -- pgo_163.030 Jn der Schlucht der Bergstrom tost, pgo_163.032 Winkt, als wie mit weißen Händen: pgo_163.033 Komm', o komm, und trinke Trost! pgo_163.034 pgo_163.001 Bedächtig stieg die Nacht an's Land, pgo_163.010 Lehnt träumend an der Berge Wand, pgo_163.011 Jhr Auge sieht die gold'ne Wage nun pgo_163.012 Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn u. s. f. pgo_163.013 O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl, pgo_163.015 Empfange nun, empfange pgo_163.016 Den sehnsuchtsvollen Leib einmal pgo_163.017 Und küsse Brust und Wange! pgo_163.018 Er fühlt mir schon herauf die Brust, pgo_163.019 Er kühlt mit Liebesschauerlust pgo_163.020 Und jauchzendem Gesange. pgo_163.021 Du murmelst so, mein Fluß, warum? pgo_163.024 Du trägst seit alten Tagen pgo_163.025 Ein seltsam Märchen mit dir um, pgo_163.026 Und mühst dich, es zu sagen; pgo_163.027 Du eilst so sehr und läufst so sehr pgo_163.028 Als müßtest du im Land umher pgo_163.029 Jch weiß nicht wen drum fragen. — pgo_163.030 Jn der Schlucht der Bergstrom tost, pgo_163.032 Winkt, als wie mit weißen Händen: pgo_163.033 Komm', o komm, und trinke Trost! pgo_163.034 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0185" n="163"/><lb n="pgo_163.001"/> Wie jedes weiter ausgeführte Bild, hat man auch sie eine „Allegorie“ <lb n="pgo_163.002"/> genannt. Die einfachste Art, das Beilegen einer persönlichen Eigenschaft: <lb n="pgo_163.003"/> der <hi rendition="#g">brüllende</hi> Sturm, der <hi rendition="#g">schweigende</hi> Strahl der Sonne, <lb n="pgo_163.004"/> (<hi rendition="#g">Ossian</hi>), die Erde <hi rendition="#g">dürstet</hi> nach Regen, haben wir schon oben berührt. <lb n="pgo_163.005"/> Die weitere Ausführung legt dem sinnlichen Ding eine menschliche <lb n="pgo_163.006"/> Thätigkeit bei, welche durch mehrere Momente hindurchgehen und ein an <lb n="pgo_163.007"/> Zügen reicheres Bild entrollen kann. 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Wie jedes weiter ausgeführte Bild, hat man auch sie eine „Allegorie“ pgo_163.002
genannt. Die einfachste Art, das Beilegen einer persönlichen Eigenschaft: pgo_163.003
der brüllende Sturm, der schweigende Strahl der Sonne, pgo_163.004
(Ossian), die Erde dürstet nach Regen, haben wir schon oben berührt. pgo_163.005
Die weitere Ausführung legt dem sinnlichen Ding eine menschliche pgo_163.006
Thätigkeit bei, welche durch mehrere Momente hindurchgehen und ein an pgo_163.007
Zügen reicheres Bild entrollen kann. So personificirt Moerike pgo_163.008
die Nacht:
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Bedächtig stieg die Nacht an's Land, pgo_163.010
Lehnt träumend an der Berge Wand, pgo_163.011
Jhr Auge sieht die gold'ne Wage nun pgo_163.012
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn u. s. f.
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und den Fluß:
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O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl, pgo_163.015
Empfange nun, empfange pgo_163.016
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal pgo_163.017
Und küsse Brust und Wange! pgo_163.018
Er fühlt mir schon herauf die Brust, pgo_163.019
Er kühlt mit Liebesschauerlust pgo_163.020
Und jauchzendem Gesange.
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So geht es mehrere Strophen durch; lebendig ist besonders noch die pgo_163.022
folgende:
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Du murmelst so, mein Fluß, warum? pgo_163.024
Du trägst seit alten Tagen pgo_163.025
Ein seltsam Märchen mit dir um, pgo_163.026
Und mühst dich, es zu sagen; pgo_163.027
Du eilst so sehr und läufst so sehr pgo_163.028
Als müßtest du im Land umher pgo_163.029
Jch weiß nicht wen drum fragen. —
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Meißner singt:
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Jn der Schlucht der Bergstrom tost, pgo_163.032
Winkt, als wie mit weißen Händen: pgo_163.033
Komm', o komm, und trinke Trost!
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Der höchste Grad der metaphorischen Personifikation ist derjenige, pgo_163.035
wo der personificirten Erscheinung nicht blos menschliche Thätigkeit beigelegt, pgo_163.036
sondern wo sie selbst redend eingeführt wird, wie z. B. die Pest in pgo_163.037
jenem düsterkräftigen Gedicht von Hermann Lingg: der schwarze pgo_163.038
Tod:
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