Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_164.001 Erzittre, Welt, ich bin die Pest, pgo_164.002 Jch komm' in alle Lande pgo_164.003 Und richte mir ein großes Fest, pgo_164.004 Mein Blick ist Fieber, feuerfest pgo_164.005 Und schwarz ist mein Gewande. pgo_164.006 Jch komme von Aegyptenland pgo_164.007 Jn rothen Nebelschleiern, pgo_164.008 Am Nilusstrand im gelben Sand pgo_164.009 Entsog ich Gift dem Wüstenbrand pgo_164.010 Und Gift aus Dracheneiern. pgo_164.011 pgo_164.014 Dir bahnt den Weg die harte Nothwendigkeit, pgo_164.031 Geschärfte Keil' und Nägel in eh'rner Hand, pgo_164.032 Auch fehlt ihr nicht der Todeshaken, pgo_164.033 Noch des geschmolzenen Bleies Marter. pgo_164.034 pgo_164.001 Erzittre, Welt, ich bin die Pest, pgo_164.002 Jch komm' in alle Lande pgo_164.003 Und richte mir ein großes Fest, pgo_164.004 Mein Blick ist Fieber, feuerfest pgo_164.005 Und schwarz ist mein Gewande. pgo_164.006 Jch komme von Aegyptenland pgo_164.007 Jn rothen Nebelschleiern, pgo_164.008 Am Nilusstrand im gelben Sand pgo_164.009 Entsog ich Gift dem Wüstenbrand pgo_164.010 Und Gift aus Dracheneiern. pgo_164.011 pgo_164.014 Dir bahnt den Weg die harte Nothwendigkeit, pgo_164.031 Geschärfte Keil' und Nägel in eh'rner Hand, pgo_164.032 Auch fehlt ihr nicht der Todeshaken, pgo_164.033 Noch des geschmolzenen Bleies Marter. pgo_164.034 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0186" n="164"/> <lb n="pgo_164.001"/> <lg> <l>Erzittre, Welt, ich bin die Pest,</l> <lb n="pgo_164.002"/> <l>Jch komm' in alle Lande</l> <lb n="pgo_164.003"/> <l>Und richte mir ein großes Fest,</l> <lb n="pgo_164.004"/> <l>Mein Blick ist Fieber, feuerfest</l> <lb n="pgo_164.005"/> <l>Und schwarz ist mein Gewande.</l> </lg> <lg> <lb n="pgo_164.006"/> <l>Jch komme von Aegyptenland</l> <lb n="pgo_164.007"/> <l>Jn rothen Nebelschleiern,</l> <lb n="pgo_164.008"/> <l>Am Nilusstrand im gelben Sand</l> <lb n="pgo_164.009"/> <l>Entsog ich Gift dem Wüstenbrand</l> <lb n="pgo_164.010"/> <l>Und Gift aus Dracheneiern.</l> </lg> <p><lb n="pgo_164.011"/> Diese Art der Personifikation verleiht dem Bilde und dem Ausdrucke <lb n="pgo_164.012"/> die höchste Lebendigkeit und ist echt dichterisch. Von den beiden folgenden <lb n="pgo_164.013"/> Arten läßt sich dies nur mit Einschränkung behaupten.</p> <p><lb n="pgo_164.014"/> Die <hi rendition="#g">allegorische Personifikation,</hi> die <hi rendition="#g">eigentliche Allegorie,</hi> <lb n="pgo_164.015"/> verwandelt abstrakte Begriffe in Personen und gehört wesentlich <lb n="pgo_164.016"/> der Skulptur und Malerei an. Der Begriff z. B. die Tugend, die <lb n="pgo_164.017"/> Hoffnung, der Glauben, die Sünde wird zur <hi rendition="#g">Gestalt,</hi> und zwar zur <lb n="pgo_164.018"/> menschlichen Gestalt. Diese Gestalt aber ist an und für sich unfähig, <lb n="pgo_164.019"/> jenen Begriff auszudrücken; die Bedeutung flüchtet daher in das <hi rendition="#g">Attribut,</hi> <lb n="pgo_164.020"/> in irgend eine beigegebene Aeußerlichkeit, durch deren Andeutung <lb n="pgo_164.021"/> die Phantasie erst auf den rechten Weg geführt wird, was sie sich bei dem <lb n="pgo_164.022"/> Ganzen zu denken hat. Die Gerechtigkeit erhält eine Wage und Binde, <lb n="pgo_164.023"/> der Tod ein Stundenglas und eine Sense. Diese Hilfsmittel der bildenden <lb n="pgo_164.024"/> Kunst hat aber die Poesie nicht nöthig, da sie auf andern Wegen <lb n="pgo_164.025"/> Gestalt und Bedeutung gleich setzen kann. Die Allegorie, die zu solchen <lb n="pgo_164.026"/> äußerlichen Attributen greift, wird daher in der Poesie immer nüchtern <lb n="pgo_164.027"/> und ärmlich erscheinen, während sie bei den bildenden und zeichnenden <lb n="pgo_164.028"/> Künsten der Deutlichkeit wegen unerläßlich ist. Die Allegorie des Horaz <lb n="pgo_164.029"/> in seiner Ode an die „Fortuna zu Antium“ ist von dieser leblosen Art:</p> <lb n="pgo_164.030"/> <lg> <l>Dir bahnt den Weg die harte <hi rendition="#g">Nothwendigkeit,</hi></l> <lb n="pgo_164.031"/> <l>Geschärfte Keil' und Nägel in eh'rner Hand,</l> <lb n="pgo_164.032"/> <l>Auch fehlt ihr nicht der Todeshaken,</l> <lb n="pgo_164.033"/> <l>Noch des geschmolzenen Bleies Marter.</l> </lg> <p><lb n="pgo_164.034"/> Der Maler darf die Hoffnung mit einem Schiffsanker darstellen oder <lb n="pgo_164.035"/> mit einer Lilie in der Hand, der Dichter niemals! Die Allegorie muß <lb n="pgo_164.036"/> klar sein, in einem durchsichtigen Palaste wohnen, wie ein sinnreicher Poet </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0186]
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Erzittre, Welt, ich bin die Pest, pgo_164.002
Jch komm' in alle Lande pgo_164.003
Und richte mir ein großes Fest, pgo_164.004
Mein Blick ist Fieber, feuerfest pgo_164.005
Und schwarz ist mein Gewande.
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Jch komme von Aegyptenland pgo_164.007
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Und Gift aus Dracheneiern.
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Diese Art der Personifikation verleiht dem Bilde und dem Ausdrucke pgo_164.012
die höchste Lebendigkeit und ist echt dichterisch. Von den beiden folgenden pgo_164.013
Arten läßt sich dies nur mit Einschränkung behaupten.
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Die allegorische Personifikation, die eigentliche Allegorie, pgo_164.015
verwandelt abstrakte Begriffe in Personen und gehört wesentlich pgo_164.016
der Skulptur und Malerei an. Der Begriff z. B. die Tugend, die pgo_164.017
Hoffnung, der Glauben, die Sünde wird zur Gestalt, und zwar zur pgo_164.018
menschlichen Gestalt. Diese Gestalt aber ist an und für sich unfähig, pgo_164.019
jenen Begriff auszudrücken; die Bedeutung flüchtet daher in das Attribut, pgo_164.020
in irgend eine beigegebene Aeußerlichkeit, durch deren Andeutung pgo_164.021
die Phantasie erst auf den rechten Weg geführt wird, was sie sich bei dem pgo_164.022
Ganzen zu denken hat. Die Gerechtigkeit erhält eine Wage und Binde, pgo_164.023
der Tod ein Stundenglas und eine Sense. Diese Hilfsmittel der bildenden pgo_164.024
Kunst hat aber die Poesie nicht nöthig, da sie auf andern Wegen pgo_164.025
Gestalt und Bedeutung gleich setzen kann. Die Allegorie, die zu solchen pgo_164.026
äußerlichen Attributen greift, wird daher in der Poesie immer nüchtern pgo_164.027
und ärmlich erscheinen, während sie bei den bildenden und zeichnenden pgo_164.028
Künsten der Deutlichkeit wegen unerläßlich ist. Die Allegorie des Horaz pgo_164.029
in seiner Ode an die „Fortuna zu Antium“ ist von dieser leblosen Art:
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Dir bahnt den Weg die harte Nothwendigkeit, pgo_164.031
Geschärfte Keil' und Nägel in eh'rner Hand, pgo_164.032
Auch fehlt ihr nicht der Todeshaken, pgo_164.033
Noch des geschmolzenen Bleies Marter.
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Der Maler darf die Hoffnung mit einem Schiffsanker darstellen oder pgo_164.035
mit einer Lilie in der Hand, der Dichter niemals! Die Allegorie muß pgo_164.036
klar sein, in einem durchsichtigen Palaste wohnen, wie ein sinnreicher Poet
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