Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite
pgo_174.001
Zu Aachen in seiner Kaiserpracht pgo_174.002
Jm alterthümlichen Saale pgo_174.003
Saß König Rudolph's heilige Macht pgo_174.004
Beim festlichen Krönungsmahle.
pgo_174.005

Schiller.

pgo_174.006
Jn des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft.
pgo_174.007

Schiller.

pgo_174.008
Das Setzen des Abstraktums für das Konkretum geht leicht in die pgo_174.009
Personifikation über:

pgo_174.010
Dürrer Mord pgo_174.011
Schreitet gespenstisch!
pgo_174.012

Shakespeare, Macbeth.

pgo_174.013
Die Vertauschung des Singular und Plural, die ebenfalls als eine pgo_174.014
Synekdoche bezeichnet wird, bildet ungezwungen den Uebergang zu den pgo_174.015
Figuren. Sie gehört eigentlich zu den poetischen Licenzen, welche pgo_174.016
die Sprache mit neuen Wendungen bereichern, die aus einer in der Prosa pgo_174.017
nicht verstatteten Vertauschung grammatischer Formen hervorgehen. pgo_174.018
Jhre Anwendung ist sehr häufig in der neuen Lyrik:

pgo_174.019
Wie heiß auch meine Sonnen lohten, pgo_174.020
Sie weckten späte Rosen nur.
pgo_174.021

(Meißner.)

pgo_174.022
Weihrauch wagt nur leise Hauche.
pgo_174.023

(Sallet.)

pgo_174.024
Die eh'rnen Hengste, die durch salz'ge Schäume pgo_174.025
Dahergeschleppt auf jener Kirche ragen.
pgo_174.026

(Platen.)

pgo_174.027
Jm Osten starb der große Chan pgo_174.028
Auf Jndien's Zimmetinseln, pgo_174.029
Starb Negerfürst und Muselmann.
pgo_174.030

(Lingg.)

pgo_174.031
B. Figuren.

pgo_174.032
Die Figuren sind bestimmte Schemata der Rede, in denen sich ein pgo_174.033
Gefühl, eine Stimmung, ein Gedanke krystallisirt. Sie erhöhen nicht, pgo_174.034
wie die Bilder, die Anschaulichkeit; es sind nur Wort- und Gedankenstellungen, pgo_174.035
welche den Ausdruck lebhafter und schärfer machen. Die

pgo_174.001
Zu Aachen in seiner Kaiserpracht pgo_174.002
Jm alterthümlichen Saale pgo_174.003
Saß König Rudolph's heilige Macht pgo_174.004
Beim festlichen Krönungsmahle.
pgo_174.005

Schiller.

pgo_174.006
Jn des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft.
pgo_174.007

Schiller.

pgo_174.008
Das Setzen des Abstraktums für das Konkretum geht leicht in die pgo_174.009
Personifikation über:

pgo_174.010
Dürrer Mord pgo_174.011
Schreitet gespenstisch!
pgo_174.012

Shakespeare, Macbeth.

pgo_174.013
Die Vertauschung des Singular und Plural, die ebenfalls als eine pgo_174.014
Synekdoche bezeichnet wird, bildet ungezwungen den Uebergang zu den pgo_174.015
Figuren. Sie gehört eigentlich zu den poetischen Licenzen, welche pgo_174.016
die Sprache mit neuen Wendungen bereichern, die aus einer in der Prosa pgo_174.017
nicht verstatteten Vertauschung grammatischer Formen hervorgehen. pgo_174.018
Jhre Anwendung ist sehr häufig in der neuen Lyrik:

pgo_174.019
Wie heiß auch meine Sonnen lohten, pgo_174.020
Sie weckten späte Rosen nur.
pgo_174.021

(Meißner.)

pgo_174.022
Weihrauch wagt nur leise Hauche.
pgo_174.023

(Sallet.)

pgo_174.024
Die eh'rnen Hengste, die durch salz'ge Schäume pgo_174.025
Dahergeschleppt auf jener Kirche ragen.
pgo_174.026

(Platen.)

pgo_174.027
Jm Osten starb der große Chan pgo_174.028
Auf Jndien's Zimmetinseln, pgo_174.029
Starb Negerfürst und Muselmann.
pgo_174.030

(Lingg.)

pgo_174.031
B. Figuren.

pgo_174.032
Die Figuren sind bestimmte Schemata der Rede, in denen sich ein pgo_174.033
Gefühl, eine Stimmung, ein Gedanke krystallisirt. Sie erhöhen nicht, pgo_174.034
wie die Bilder, die Anschaulichkeit; es sind nur Wort- und Gedankenstellungen, pgo_174.035
welche den Ausdruck lebhafter und schärfer machen. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0196" n="174"/>
                  <lb n="pgo_174.001"/>
                  <lg>
                    <l>Zu Aachen in seiner Kaiserpracht</l>
                    <lb n="pgo_174.002"/>
                    <l>Jm alterthümlichen Saale</l>
                    <lb n="pgo_174.003"/>
                    <l>Saß König Rudolph's <hi rendition="#g">heilige Macht</hi></l>
                    <lb n="pgo_174.004"/>
                    <l>Beim festlichen Krönungsmahle.</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.005"/>
                  <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller</hi>.</hi> </p>
                  <lb n="pgo_174.006"/>
                  <lg>
                    <l>Jn des Waldes <hi rendition="#g">Geheimniß</hi> entflieht mir auf einmal die Landschaft.</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.007"/>
                  <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller</hi>.</hi> </p>
                  <p><lb n="pgo_174.008"/>
Das Setzen des Abstraktums für das Konkretum geht leicht in die <lb n="pgo_174.009"/>
Personifikation über:</p>
                  <lb n="pgo_174.010"/>
                  <lg>
                    <l>  Dürrer <hi rendition="#g">Mord</hi></l>
                    <lb n="pgo_174.011"/>
                    <l>Schreitet gespenstisch!</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.012"/>
                  <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Shakespeare,</hi> Macbeth.</hi> </p>
                  <p><lb n="pgo_174.013"/>
Die Vertauschung des Singular und Plural, die ebenfalls als eine <lb n="pgo_174.014"/>
Synekdoche bezeichnet wird, bildet ungezwungen den Uebergang zu den <lb n="pgo_174.015"/>
Figuren. Sie gehört eigentlich zu den <hi rendition="#g">poetischen Licenzen,</hi> welche <lb n="pgo_174.016"/>
die Sprache mit neuen Wendungen bereichern, die aus einer in der Prosa <lb n="pgo_174.017"/>
nicht verstatteten Vertauschung grammatischer Formen hervorgehen. <lb n="pgo_174.018"/>
Jhre Anwendung ist sehr häufig in der neuen Lyrik:</p>
                  <lb n="pgo_174.019"/>
                  <lg>
                    <l>Wie heiß auch meine <hi rendition="#g">Sonnen</hi> lohten,</l>
                    <lb n="pgo_174.020"/>
                    <l>Sie weckten späte Rosen nur.</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.021"/>
                  <p> <hi rendition="#right">(<hi rendition="#g">Meißner</hi>.)</hi> </p>
                  <lb n="pgo_174.022"/>
                  <lg>
                    <l>Weihrauch wagt nur <hi rendition="#g">leise Hauche</hi>.</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.023"/>
                  <p> <hi rendition="#right">(<hi rendition="#g">Sallet</hi>.)</hi> </p>
                  <lb n="pgo_174.024"/>
                  <lg>
                    <l>Die eh'rnen Hengste, die durch <hi rendition="#g">salz'ge Schäume</hi></l>
                    <lb n="pgo_174.025"/>
                    <l>Dahergeschleppt auf jener Kirche ragen.</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.026"/>
                  <p> <hi rendition="#right">(<hi rendition="#g">Platen</hi>.)</hi> </p>
                  <lb n="pgo_174.027"/>
                  <lg>
                    <l>Jm Osten starb der große Chan</l>
                    <lb n="pgo_174.028"/>
                    <l>Auf Jndien's Zimmetinseln,</l>
                    <lb n="pgo_174.029"/>
                    <l>Starb Negerfürst und <hi rendition="#g">Muselmann</hi>.</l>
                  </lg>
                  <lb n="pgo_174.030"/>
                  <p> <hi rendition="#right">(<hi rendition="#g">Lingg</hi>.)</hi> </p>
                </div>
              </div>
              <div n="5">
                <lb n="pgo_174.031"/>
                <head> <hi rendition="#c">B. Figuren.</hi> </head>
                <p><lb n="pgo_174.032"/>
Die <hi rendition="#g">Figuren</hi> sind bestimmte Schemata der Rede, in denen sich ein <lb n="pgo_174.033"/>
Gefühl, eine Stimmung, ein Gedanke krystallisirt. Sie erhöhen nicht, <lb n="pgo_174.034"/>
wie die <hi rendition="#g">Bilder,</hi> die Anschaulichkeit; es sind nur Wort- und Gedankenstellungen, <lb n="pgo_174.035"/>
welche den Ausdruck lebhafter und schärfer machen. Die
</p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0196] pgo_174.001 Zu Aachen in seiner Kaiserpracht pgo_174.002 Jm alterthümlichen Saale pgo_174.003 Saß König Rudolph's heilige Macht pgo_174.004 Beim festlichen Krönungsmahle. pgo_174.005 Schiller. pgo_174.006 Jn des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft. pgo_174.007 Schiller. pgo_174.008 Das Setzen des Abstraktums für das Konkretum geht leicht in die pgo_174.009 Personifikation über: pgo_174.010 Dürrer Mord pgo_174.011 Schreitet gespenstisch! pgo_174.012 Shakespeare, Macbeth. pgo_174.013 Die Vertauschung des Singular und Plural, die ebenfalls als eine pgo_174.014 Synekdoche bezeichnet wird, bildet ungezwungen den Uebergang zu den pgo_174.015 Figuren. Sie gehört eigentlich zu den poetischen Licenzen, welche pgo_174.016 die Sprache mit neuen Wendungen bereichern, die aus einer in der Prosa pgo_174.017 nicht verstatteten Vertauschung grammatischer Formen hervorgehen. pgo_174.018 Jhre Anwendung ist sehr häufig in der neuen Lyrik: pgo_174.019 Wie heiß auch meine Sonnen lohten, pgo_174.020 Sie weckten späte Rosen nur. pgo_174.021 (Meißner.) pgo_174.022 Weihrauch wagt nur leise Hauche. pgo_174.023 (Sallet.) pgo_174.024 Die eh'rnen Hengste, die durch salz'ge Schäume pgo_174.025 Dahergeschleppt auf jener Kirche ragen. pgo_174.026 (Platen.) pgo_174.027 Jm Osten starb der große Chan pgo_174.028 Auf Jndien's Zimmetinseln, pgo_174.029 Starb Negerfürst und Muselmann. pgo_174.030 (Lingg.) pgo_174.031 B. Figuren. pgo_174.032 Die Figuren sind bestimmte Schemata der Rede, in denen sich ein pgo_174.033 Gefühl, eine Stimmung, ein Gedanke krystallisirt. Sie erhöhen nicht, pgo_174.034 wie die Bilder, die Anschaulichkeit; es sind nur Wort- und Gedankenstellungen, pgo_174.035 welche den Ausdruck lebhafter und schärfer machen. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/196
Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/196>, abgerufen am 21.11.2024.