Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_175.001 pgo_175.007 Lear. pgo_175.015 Pest, Rache, Tod, Vernichtung! pgo_175.016 Was feurig? was Gemüth? Ha Gloster, Gloster! pgo_175.017 Weh' mir, mein Herz, mein schwellend Herz, hinunter! pgo_175.019 Jch frage, giebt es einen Gott? Was -- dürfen pgo_175.021 pgo_175.022Jn seiner Schöpfung Könige so hausen? Schiller. pgo_175.023 Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Thäler! pgo_175.026Schiller. pgo_175.027O Morgenduft auf dunklen Wäldern, pgo_175.028 pgo_175.031O Maienwonne, Sommerlust! pgo_175.029 O Lerchensang auf grünen Feldern, pgo_175.030 Wie sehnt nach euch sich meine Brust! Prutz. pgo_175.032O Meer im Abendstrahl, pgo_175.033 pgo_175.036An deiner stillen Fluth, pgo_175.034 Fühl' ich nach langer Qual pgo_175.035 Mich wieder fromm und gut. Meißner. pgo_175.001 pgo_175.007 Lear. pgo_175.015 Pest, Rache, Tod, Vernichtung! pgo_175.016 Was feurig? was Gemüth? Ha Gloster, Gloster! pgo_175.017 Weh' mir, mein Herz, mein schwellend Herz, hinunter! pgo_175.019 Jch frage, giebt es einen Gott? Was — dürfen pgo_175.021 pgo_175.022Jn seiner Schöpfung Könige so hausen? Schiller. pgo_175.023 Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Thäler! pgo_175.026Schiller. pgo_175.027O Morgenduft auf dunklen Wäldern, pgo_175.028 pgo_175.031O Maienwonne, Sommerlust! pgo_175.029 O Lerchensang auf grünen Feldern, pgo_175.030 Wie sehnt nach euch sich meine Brust! Prutz. pgo_175.032O Meer im Abendstrahl, pgo_175.033 pgo_175.036An deiner stillen Fluth, pgo_175.034 Fühl' ich nach langer Qual pgo_175.035 Mich wieder fromm und gut. Meißner. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0197" n="175"/><lb n="pgo_175.001"/><hi rendition="#g">Bilder</hi> gehören der Phantasie an; die Figuren dem Gemüth oder Verstand. <lb n="pgo_175.002"/> Die alten Rhetoriker sind unerschöpflich in der Aufstellung und <lb n="pgo_175.003"/> Definition von Figuren, indem sie jede Abweichung von dem herkömmlichen <lb n="pgo_175.004"/> Geleis der Grammatik und Syntax mit einem stolzklingenden <lb n="pgo_175.005"/> Namen taufen. Wir greifen aus dem reichhaltigen Schatze nur diejenigen <lb n="pgo_175.006"/> heraus, welche für die Dichtkunst von besonderer Wichtigkeit sind:</p> <p><lb n="pgo_175.007"/> 1) <hi rendition="#g">Die Ausrufung,</hi> die in den alten Sturm- und Drangtragödieen <lb n="pgo_175.008"/> z. B. Klinger's das ganze Pathos der Leidenschaft naturwüchsig <lb n="pgo_175.009"/> ersetzen sollte! Höchst frostig ertönt in den modern-antiken Schauspielen <lb n="pgo_175.010"/> das: <hi rendition="#g">ihr Götter! bei'm Zeus!</hi> u. s. f., weil uns diese Ausrufungen an <lb n="pgo_175.011"/> eine ganz andere Weltanschauung gemahnen. Shakespeare ist in seinen <lb n="pgo_175.012"/> pathetischen Scenen reich an Ausrufungen, die oft der grelle Ausschrei <lb n="pgo_175.013"/> der inneren Leidenschaft, des inneren Kampfes sind:</p> <lb n="pgo_175.014"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lear</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_175.015"/> <lg> <l> Pest, Rache, Tod, Vernichtung!</l> <lb n="pgo_175.016"/> <l>Was feurig? was Gemüth? Ha Gloster, Gloster!</l> </lg> <p><lb n="pgo_175.017"/> und später:</p> <lb n="pgo_175.018"/> <lg> <l>Weh' mir, mein Herz, mein schwellend Herz, hinunter!</l> </lg> <p><lb n="pgo_175.019"/> 2) <hi rendition="#g">Die Frage,</hi> als Ausbruch des Affektes:</p> <lb n="pgo_175.020"/> <lg> <l>Jch frage, giebt es einen Gott? Was — dürfen</l> <lb n="pgo_175.021"/> <l>Jn seiner Schöpfung Könige so hausen?</l> </lg> <lb n="pgo_175.022"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_175.023"/> 3) <hi rendition="#g">Die Anrede, Apostrophe,</hi> in welcher der Keim und erste <lb n="pgo_175.024"/> Ansatz zur dichterischen Personifikation verborgen liegt:</p> <lb n="pgo_175.025"/> <lg> <l>Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Thäler!</l> </lg> <lb n="pgo_175.026"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_175.027"/> <lg> <l>O Morgenduft auf dunklen Wäldern,</l> <lb n="pgo_175.028"/> <l>O Maienwonne, Sommerlust!</l> <lb n="pgo_175.029"/> <l>O Lerchensang auf grünen Feldern,</l> <lb n="pgo_175.030"/> <l>Wie sehnt nach euch sich meine Brust!</l> </lg> <lb n="pgo_175.031"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Prutz</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_175.032"/> <lg> <l>O Meer im Abendstrahl,</l> <lb n="pgo_175.033"/> <l>An deiner stillen Fluth,</l> <lb n="pgo_175.034"/> <l>Fühl' ich nach langer Qual</l> <lb n="pgo_175.035"/> <l>Mich wieder fromm und gut.</l> </lg> <lb n="pgo_175.036"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Meißner</hi>.</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0197]
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Bilder gehören der Phantasie an; die Figuren dem Gemüth oder Verstand. pgo_175.002
Die alten Rhetoriker sind unerschöpflich in der Aufstellung und pgo_175.003
Definition von Figuren, indem sie jede Abweichung von dem herkömmlichen pgo_175.004
Geleis der Grammatik und Syntax mit einem stolzklingenden pgo_175.005
Namen taufen. Wir greifen aus dem reichhaltigen Schatze nur diejenigen pgo_175.006
heraus, welche für die Dichtkunst von besonderer Wichtigkeit sind:
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1) Die Ausrufung, die in den alten Sturm- und Drangtragödieen pgo_175.008
z. B. Klinger's das ganze Pathos der Leidenschaft naturwüchsig pgo_175.009
ersetzen sollte! Höchst frostig ertönt in den modern-antiken Schauspielen pgo_175.010
das: ihr Götter! bei'm Zeus! u. s. f., weil uns diese Ausrufungen an pgo_175.011
eine ganz andere Weltanschauung gemahnen. Shakespeare ist in seinen pgo_175.012
pathetischen Scenen reich an Ausrufungen, die oft der grelle Ausschrei pgo_175.013
der inneren Leidenschaft, des inneren Kampfes sind:
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Lear.
pgo_175.015
Pest, Rache, Tod, Vernichtung! pgo_175.016
Was feurig? was Gemüth? Ha Gloster, Gloster!
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und später:
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Weh' mir, mein Herz, mein schwellend Herz, hinunter!
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2) Die Frage, als Ausbruch des Affektes:
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Jch frage, giebt es einen Gott? Was — dürfen pgo_175.021
Jn seiner Schöpfung Könige so hausen?
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Schiller.
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3) Die Anrede, Apostrophe, in welcher der Keim und erste pgo_175.024
Ansatz zur dichterischen Personifikation verborgen liegt:
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Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Thäler!
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Schiller.
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Mich wieder fromm und gut.
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Meißner.
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