Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_212.001 Träumet, wer von Haß entbrennt, pgo_212.002 pgo_212.005Kurz, auf diesem Erdenballe pgo_212.003 Träumen, was sie leben, alle, pgo_212.004 Ob es Keiner gleich erkennt. Calderon (nach Gries). pgo_212.006 Was ist Leben? Raserei! pgo_212.009 pgo_212.014Was ist Leben? Hohler Schaum! pgo_212.010 Ein Gedicht, ein Schatten kaum! pgo_212.011 Wenig kann das Glück uns geben, pgo_212.012 Denn ein Traum ist alles Leben, pgo_212.013 Und die Träume selbst sind Traum. Calderon (nach Gries). pgo_212.015 pgo_212.001 Träumet, wer von Haß entbrennt, pgo_212.002 pgo_212.005Kurz, auf diesem Erdenballe pgo_212.003 Träumen, was sie leben, alle, pgo_212.004 Ob es Keiner gleich erkennt. Calderon (nach Gries). pgo_212.006 Was ist Leben? Raserei! pgo_212.009 pgo_212.014Was ist Leben? Hohler Schaum! pgo_212.010 Ein Gedicht, ein Schatten kaum! pgo_212.011 Wenig kann das Glück uns geben, pgo_212.012 Denn ein Traum ist alles Leben, pgo_212.013 Und die Träume selbst sind Traum. Calderon (nach Gries). pgo_212.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0234" n="212"/> <lb n="pgo_212.001"/> <lg> <l>Träumet, wer von Haß entbrennt,</l> <lb n="pgo_212.002"/> <l>Kurz, auf diesem Erdenballe</l> <lb n="pgo_212.003"/> <l>Träumen, was sie leben, alle,</l> <lb n="pgo_212.004"/> <l>Ob es Keiner gleich erkennt.</l> </lg> <lb n="pgo_212.005"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Calderon</hi> (nach Gries).</hi> </p> <p><lb n="pgo_212.006"/> Das folgende Beispiel zeigt dagegen seinen für die Sentenzenfülle <lb n="pgo_212.007"/> geeigneten Charakter:</p> <lb n="pgo_212.008"/> <lg> <l>Was ist Leben? Raserei!</l> <lb n="pgo_212.009"/> <l>Was ist Leben? Hohler Schaum!</l> <lb n="pgo_212.010"/> <l>Ein Gedicht, ein Schatten kaum!</l> <lb n="pgo_212.011"/> <l>Wenig kann das Glück uns geben,</l> <lb n="pgo_212.012"/> <l>Denn ein Traum ist alles Leben,</l> <lb n="pgo_212.013"/> <l>Und die Träume selbst sind Traum.</l> </lg> <lb n="pgo_212.014"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Calderon</hi> (nach Gries).</hi> </p> <p><lb n="pgo_212.015"/> Jn der That ist dies die Art und Weise, in welcher die spanischen <lb n="pgo_212.016"/> Dramatiker diesen Vers behandelt haben. Jhre Eigenthümlichkeit, das <lb n="pgo_212.017"/> blendende und schlagende Phantasiespiel, die Dialektik der Begriffe, der <lb n="pgo_212.018"/> Pomp der Schilderung, die Häufung der Sentenzen und Bilder, hängt <lb n="pgo_212.019"/> wesentlich mit dem Gebrauche dieses Verses zusammen. Doch da gerade <lb n="pgo_212.020"/> diese Eigenschaften keine Vorzüge des dramatischen Styles sind, der im <lb n="pgo_212.021"/> Gegentheile Energie des Ausdrucks und die Vermeidung alles überflüssigen <lb n="pgo_212.022"/> Pompes in weithingezogenen Schilderungen und Betrachtungen verlangt: <lb n="pgo_212.023"/> so kann die Anwendung des vierfüßigen Trochäus im deutschen Drama <lb n="pgo_212.024"/> nicht gebilligt und anempfohlen werden. Nach dem Vorgang der <lb n="pgo_212.025"/> Romantiker haben die deutschen Schicksalstragöden <hi rendition="#g">Müllner</hi> in der <lb n="pgo_212.026"/> „Schuld,“ <hi rendition="#g">Grillparzer</hi> in der „Ahnfrau,“ <hi rendition="#g">Houwald</hi> im „Leuchtthurm,“ <lb n="pgo_212.027"/> außerdem <hi rendition="#g">Schenk</hi> im „Belisar,“ <hi rendition="#g">Beer</hi> im „Paria,“ <hi rendition="#g">Auffenberg</hi> <lb n="pgo_212.028"/> in der „Alhambra,“ <hi rendition="#g">Raupach, Zedlitz</hi> u. A. in einigen Dramen <lb n="pgo_212.029"/> den vierfüßigen Trochäus in Anwendung gebracht; aber nicht ohne damit <lb n="pgo_212.030"/> ein ebenso spitzfindiges wie weitschweifiges Pathos, eine an Wiederholungen <lb n="pgo_212.031"/> reiche Redseligkeit zu verbinden und die lyrische Reflexion über die <lb n="pgo_212.032"/> dramatisch-straffe Motivirung überwiegen zu lassen, Fehler, zu denen dieser <lb n="pgo_212.033"/> reflektirende Vers von selbst verführt. Auch die spanische Romanze <lb n="pgo_212.034"/> hat ihn für ihre epische Lyrik gebraucht; der „Cid“ von <hi rendition="#g">Herder</hi> giebt <lb n="pgo_212.035"/> uns ihre Klänge anmuthig wieder. Für die Epik sind die <hi rendition="#g">Anaphoren</hi> <lb n="pgo_212.036"/> und <hi rendition="#g">Epistrophen</hi> dieses Vierfüßlers emphatische Mittelglieder zur Fortführung <lb n="pgo_212.037"/> der Erzählung, z. B.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [212/0234]
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Träumet, wer von Haß entbrennt, pgo_212.002
Kurz, auf diesem Erdenballe pgo_212.003
Träumen, was sie leben, alle, pgo_212.004
Ob es Keiner gleich erkennt.
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Calderon (nach Gries).
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Das folgende Beispiel zeigt dagegen seinen für die Sentenzenfülle pgo_212.007
geeigneten Charakter:
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Was ist Leben? Raserei! pgo_212.009
Was ist Leben? Hohler Schaum! pgo_212.010
Ein Gedicht, ein Schatten kaum! pgo_212.011
Wenig kann das Glück uns geben, pgo_212.012
Denn ein Traum ist alles Leben, pgo_212.013
Und die Träume selbst sind Traum.
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Calderon (nach Gries).
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Jn der That ist dies die Art und Weise, in welcher die spanischen pgo_212.016
Dramatiker diesen Vers behandelt haben. Jhre Eigenthümlichkeit, das pgo_212.017
blendende und schlagende Phantasiespiel, die Dialektik der Begriffe, der pgo_212.018
Pomp der Schilderung, die Häufung der Sentenzen und Bilder, hängt pgo_212.019
wesentlich mit dem Gebrauche dieses Verses zusammen. Doch da gerade pgo_212.020
diese Eigenschaften keine Vorzüge des dramatischen Styles sind, der im pgo_212.021
Gegentheile Energie des Ausdrucks und die Vermeidung alles überflüssigen pgo_212.022
Pompes in weithingezogenen Schilderungen und Betrachtungen verlangt: pgo_212.023
so kann die Anwendung des vierfüßigen Trochäus im deutschen Drama pgo_212.024
nicht gebilligt und anempfohlen werden. Nach dem Vorgang der pgo_212.025
Romantiker haben die deutschen Schicksalstragöden Müllner in der pgo_212.026
„Schuld,“ Grillparzer in der „Ahnfrau,“ Houwald im „Leuchtthurm,“ pgo_212.027
außerdem Schenk im „Belisar,“ Beer im „Paria,“ Auffenberg pgo_212.028
in der „Alhambra,“ Raupach, Zedlitz u. A. in einigen Dramen pgo_212.029
den vierfüßigen Trochäus in Anwendung gebracht; aber nicht ohne damit pgo_212.030
ein ebenso spitzfindiges wie weitschweifiges Pathos, eine an Wiederholungen pgo_212.031
reiche Redseligkeit zu verbinden und die lyrische Reflexion über die pgo_212.032
dramatisch-straffe Motivirung überwiegen zu lassen, Fehler, zu denen dieser pgo_212.033
reflektirende Vers von selbst verführt. Auch die spanische Romanze pgo_212.034
hat ihn für ihre epische Lyrik gebraucht; der „Cid“ von Herder giebt pgo_212.035
uns ihre Klänge anmuthig wieder. Für die Epik sind die Anaphoren pgo_212.036
und Epistrophen dieses Vierfüßlers emphatische Mittelglieder zur Fortführung pgo_212.037
der Erzählung, z. B.
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