Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_217.001 Von Perlen baut sich eine Brücke pgo_217.015 Hoch über einen grauen See; pgo_217.016 Sie baut sich auf im Augenblicke pgo_217.017 Und schwindelnd steigt sie in die Höh'. Schiller. pgo_217.018 Schilt nimmermehr die Stunde hart, pgo_217.019 Die fort von dir was theures reißt. pgo_217.020 Sie schreitet durch die Gegenwart pgo_217.021 Als ferner Zukunft dunkler Geist. Hebbel. pgo_217.022 pgo_217.026 pgo_217.001 Von Perlen baut sich eine Brücke pgo_217.015 Hoch über einen grauen See; pgo_217.016 Sie baut sich auf im Augenblicke pgo_217.017 Und schwindelnd steigt sie in die Höh'. Schiller. pgo_217.018 Schilt nimmermehr die Stunde hart, pgo_217.019 Die fort von dir was theures reißt. pgo_217.020 Sie schreitet durch die Gegenwart pgo_217.021 Als ferner Zukunft dunkler Geist. Hebbel. pgo_217.022 pgo_217.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0239" n="217"/><lb n="pgo_217.001"/> Stellung der Reime bedingt sind, eignet sich zu mannichfachen Ergüssen <lb n="pgo_217.002"/> des Gefühles und Gedankens, welche indeß eine gewisse Mitte <hi rendition="#g">gedämpfter <lb n="pgo_217.003"/> Stimmung</hi> nicht überschreiten dürfen. Denn das Streben dieser <lb n="pgo_217.004"/> Jamben ist nicht weit hinausgreifend, der Anprall nicht stark genug, um <lb n="pgo_217.005"/> eine größere Energie wirksam auszudrücken. Das Naturbild, die einfache <lb n="pgo_217.006"/> innige Empfindung, der Jnhalt des sangbaren Liedes, besonders in <lb n="pgo_217.007"/> künstlerisch geadelter Form, lassen sich in diesen Drei- und Vierfüßlern, <lb n="pgo_217.008"/> in den mannichfachen Kombinationen ihrer Vereinigung angemessen darstellen. <lb n="pgo_217.009"/> Ebenso eignen sie sich zu Trägern einer ruhigen Reflexion, einer <lb n="pgo_217.010"/> beschaulichen Lebensweisheit — <hi rendition="#g">Schiller</hi> hat die meisten Parabeln und <lb n="pgo_217.011"/> Räthsel, <hi rendition="#g">Hebbel, Feuchtersleben, Kinkel, Bodenstedt, Rückert</hi> <lb n="pgo_217.012"/> mancherlei Sinngedichte voll abend- und morgenländischer Lebensweisheit <lb n="pgo_217.013"/> in diesen Jamben gedichtet. Z. B.:</p> <lb n="pgo_217.014"/> <lg> <l>Von Perlen baut sich eine Brücke</l> <lb n="pgo_217.015"/> <l>Hoch über einen grauen See;</l> <lb n="pgo_217.016"/> <l>Sie baut sich auf im Augenblicke</l> <lb n="pgo_217.017"/> <l>Und schwindelnd steigt sie in die Höh'.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#g">Schiller.</hi> </hi> </p> <lg> <lb n="pgo_217.018"/> <l>Schilt nimmermehr die Stunde hart,</l> <lb n="pgo_217.019"/> <l>Die fort von dir was theures reißt.</l> <lb n="pgo_217.020"/> <l>Sie schreitet durch die Gegenwart</l> <lb n="pgo_217.021"/> <l>Als ferner Zukunft dunkler Geist.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Hebbel</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_217.022"/> Auch hat Schiller in mehreren seiner „Balladen,“ z. B. „die <hi rendition="#g">Kraniche <lb n="pgo_217.023"/> des Jbykus</hi>“ und „der Kampf mit dem Drachen,“ sich der vierfüßigen <lb n="pgo_217.024"/> Jamben bedient, deren Ernst und Würde er dadurch zu erhöhen <lb n="pgo_217.025"/> suchte, daß er sie in <hi rendition="#g">große Strophen</hi> vereinigte.</p> <p><lb n="pgo_217.026"/> Verse mit drei und vier Hebungen und Senkungen waren im Altdeutschen <lb n="pgo_217.027"/> bräuchlich, und in der That ist der drei- und vierfüßige Jambus <lb n="pgo_217.028"/> vaterländischen und nicht antik-klassischen Ursprunges. Er verträgt <lb n="pgo_217.029"/> daher auch eine freiere Behandlung und erhält durch die Beimischung <lb n="pgo_217.030"/> zahlreicher Anapäste einen bewegteren und malerischen Charakter. Diesen <lb n="pgo_217.031"/> Vers hat <hi rendition="#g">Goethe</hi> vorzugsweise in den Monologen und im Dialog seines <lb n="pgo_217.032"/> <hi rendition="#g">Faust</hi> angewendet, indem er freilich seine Energie durch zahlreiche Fünffüßler <lb n="pgo_217.033"/> verstärkte. Den Vers mit <hi rendition="#g">drei</hi> Hebungen und Senkungen finden <lb n="pgo_217.034"/> wir in Heine's reizenden „Liedern“ wieder.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0239]
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Stellung der Reime bedingt sind, eignet sich zu mannichfachen Ergüssen pgo_217.002
des Gefühles und Gedankens, welche indeß eine gewisse Mitte gedämpfter pgo_217.003
Stimmung nicht überschreiten dürfen. Denn das Streben dieser pgo_217.004
Jamben ist nicht weit hinausgreifend, der Anprall nicht stark genug, um pgo_217.005
eine größere Energie wirksam auszudrücken. Das Naturbild, die einfache pgo_217.006
innige Empfindung, der Jnhalt des sangbaren Liedes, besonders in pgo_217.007
künstlerisch geadelter Form, lassen sich in diesen Drei- und Vierfüßlern, pgo_217.008
in den mannichfachen Kombinationen ihrer Vereinigung angemessen darstellen. pgo_217.009
Ebenso eignen sie sich zu Trägern einer ruhigen Reflexion, einer pgo_217.010
beschaulichen Lebensweisheit — Schiller hat die meisten Parabeln und pgo_217.011
Räthsel, Hebbel, Feuchtersleben, Kinkel, Bodenstedt, Rückert pgo_217.012
mancherlei Sinngedichte voll abend- und morgenländischer Lebensweisheit pgo_217.013
in diesen Jamben gedichtet. Z. B.:
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Von Perlen baut sich eine Brücke pgo_217.015
Hoch über einen grauen See; pgo_217.016
Sie baut sich auf im Augenblicke pgo_217.017
Und schwindelnd steigt sie in die Höh'.
Schiller.
pgo_217.018
Schilt nimmermehr die Stunde hart, pgo_217.019
Die fort von dir was theures reißt. pgo_217.020
Sie schreitet durch die Gegenwart pgo_217.021
Als ferner Zukunft dunkler Geist.
Hebbel.
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Auch hat Schiller in mehreren seiner „Balladen,“ z. B. „die Kraniche pgo_217.023
des Jbykus“ und „der Kampf mit dem Drachen,“ sich der vierfüßigen pgo_217.024
Jamben bedient, deren Ernst und Würde er dadurch zu erhöhen pgo_217.025
suchte, daß er sie in große Strophen vereinigte.
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Verse mit drei und vier Hebungen und Senkungen waren im Altdeutschen pgo_217.027
bräuchlich, und in der That ist der drei- und vierfüßige Jambus pgo_217.028
vaterländischen und nicht antik-klassischen Ursprunges. Er verträgt pgo_217.029
daher auch eine freiere Behandlung und erhält durch die Beimischung pgo_217.030
zahlreicher Anapäste einen bewegteren und malerischen Charakter. Diesen pgo_217.031
Vers hat Goethe vorzugsweise in den Monologen und im Dialog seines pgo_217.032
Faust angewendet, indem er freilich seine Energie durch zahlreiche Fünffüßler pgo_217.033
verstärkte. Den Vers mit drei Hebungen und Senkungen finden pgo_217.034
wir in Heine's reizenden „Liedern“ wieder.
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