Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_224.001 Die Drangsal' alle soll ich offenbaren, pgo_224.002 Die ich gesehn und meistens selbst erfahren. pgo_224.003 g. Die Terzine. pgo_224.004 Durch Trümmer drang ich in des Traums Bethörung, pgo_224.010 Bang ringend, unbewußt nach welchem Ziele; pgo_224.011 Ringsum zu Bergen thürmte sich Zerstörung. pgo_224.012 Denn stolze Riesenbauten sah ich viele pgo_224.013 Zu Staub zermorscht, die manch Jahrhundert ragten, pgo_224.014 Gesunken, wie die Blume fällt vom Stiele. pgo_224.015 pgo_224.018Und stumme Säulen sahn mich an und klagten, pgo_224.016 Jnschriften dran, verlöscht, mühvoller Lesung, pgo_224.017 Die halbes Wort verscholl'ner That mir sagten. Sallet. pgo_224.019 pgo_224.035 pgo_224.001 Die Drangsal' alle soll ich offenbaren, pgo_224.002 Die ich gesehn und meistens selbst erfahren. pgo_224.003 γ. Die Terzine. pgo_224.004 Durch Trümmer drang ich in des Traums Bethörung, pgo_224.010 Bang ringend, unbewußt nach welchem Ziele; pgo_224.011 Ringsum zu Bergen thürmte sich Zerstörung. pgo_224.012 Denn stolze Riesenbauten sah ich viele pgo_224.013 Zu Staub zermorscht, die manch Jahrhundert ragten, pgo_224.014 Gesunken, wie die Blume fällt vom Stiele. pgo_224.015 pgo_224.018Und stumme Säulen sahn mich an und klagten, pgo_224.016 Jnschriften dran, verlöscht, mühvoller Lesung, pgo_224.017 Die halbes Wort verscholl'ner That mir sagten. Sallet. pgo_224.019 pgo_224.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0246" n="224"/> <lb n="pgo_224.001"/> <lg> <l>Die Drangsal' alle soll ich offenbaren,</l> <lb n="pgo_224.002"/> <l>Die ich gesehn und meistens selbst erfahren.</l> </lg> </div> <div n="7"> <lb n="pgo_224.003"/> <head> <hi rendition="#c"><foreign xml:lang="grc">γ</foreign>. <hi rendition="#g">Die Terzine.</hi></hi> </head> <p><lb n="pgo_224.004"/> Die Terzine besteht aus drei immer wiederkehrenden Zeilen mit je <lb n="pgo_224.005"/> drei sich kreuzenden Reimen. Jede Terzine weist durch den einen oder <lb n="pgo_224.006"/> die beiden ihr fehlenden Reime über sich hinaus in die nächste. Es fehlt <lb n="pgo_224.007"/> ihr der sichere Abschluß des Sonettes und der Stanze; sie bildet eine in's <lb n="pgo_224.008"/> Unendliche fortgehende Kette:</p> <lb n="pgo_224.009"/> <lg> <l>Durch Trümmer drang ich in des Traums Bethörung,</l> <lb n="pgo_224.010"/> <l>Bang ringend, unbewußt nach welchem Ziele;</l> <lb n="pgo_224.011"/> <l>Ringsum zu Bergen thürmte sich Zerstörung. </l> </lg> <lg> <lb n="pgo_224.012"/> <l>Denn stolze Riesenbauten sah ich viele</l> <lb n="pgo_224.013"/> <l>Zu Staub zermorscht, die manch Jahrhundert ragten,</l> <lb n="pgo_224.014"/> <l>Gesunken, wie die Blume fällt vom Stiele. </l> </lg> <lg> <lb n="pgo_224.015"/> <l>Und stumme Säulen sahn mich an und klagten,</l> <lb n="pgo_224.016"/> <l>Jnschriften dran, verlöscht, mühvoller Lesung,</l> <lb n="pgo_224.017"/> <l>Die halbes Wort verscholl'ner That mir sagten.</l> </lg> <lb n="pgo_224.018"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Sallet</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_224.019"/> Die Terzine ist eine vorzugsweise <hi rendition="#g">epische</hi> Form, indem sie sich <lb n="pgo_224.020"/> gleichsam ohne bestimmten Damm in die Weltweite ergießt. Auch <lb n="pgo_224.021"/> eignet sie sich für <hi rendition="#g">Reflexionen,</hi> für weit ausgesponnene Gedanken, die <lb n="pgo_224.022"/> ohne scharfe Einschnitte dem freien Zuge der Jdeeenassociation folgen. <lb n="pgo_224.023"/> Dante hat bekanntlich seine <foreign xml:lang="lat">divina commedia</foreign> in Terzinen geschrieben, <lb n="pgo_224.024"/> und in der That passen sie zur Darstellung einer Wanderung durch die <lb n="pgo_224.025"/> drei Reiche der Ewigkeit, indem sie sowohl in den drei zusammentönenden <lb n="pgo_224.026"/> Reimen für ein schilderndes und grübelndes Verweilen einen Halt <lb n="pgo_224.027"/> geben, als auch, da jede Strophe durch den fehlenden Reim unfertig <lb n="pgo_224.028"/> über sich hinausweist, die immer weiter eilende Wanderschaft treffend <lb n="pgo_224.029"/> charakterisiren. Einen „Ahasver“ muß man in Terzinen schreiben. <lb n="pgo_224.030"/> Für größere epische Gedichte eignen sie sich im Deutschen nicht, ihres <lb n="pgo_224.031"/> allzu üppigen Reimes und schleppenden Ganges wegen. <hi rendition="#g">Rückert</hi> hat <lb n="pgo_224.032"/> ein mehr reflektirendes, als episches Gedicht in diesen Versen geschrieben. <lb n="pgo_224.033"/> Außerdem haben <hi rendition="#g">Platen, Herwegh</hi> und <hi rendition="#g">Sallet</hi> einige wohltönende <lb n="pgo_224.034"/> Terzinen verfaßt.</p> <p><lb n="pgo_224.035"/> Der Raum unsers Werkes erlaubt uns nicht, auf andere italienische <lb n="pgo_224.036"/> Strophenformen, die <hi rendition="#g">Ritornelle,</hi> in denen zwei gereimte Jamben </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [224/0246]
pgo_224.001
Die Drangsal' alle soll ich offenbaren, pgo_224.002
Die ich gesehn und meistens selbst erfahren.
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γ. Die Terzine. pgo_224.004
Die Terzine besteht aus drei immer wiederkehrenden Zeilen mit je pgo_224.005
drei sich kreuzenden Reimen. Jede Terzine weist durch den einen oder pgo_224.006
die beiden ihr fehlenden Reime über sich hinaus in die nächste. Es fehlt pgo_224.007
ihr der sichere Abschluß des Sonettes und der Stanze; sie bildet eine in's pgo_224.008
Unendliche fortgehende Kette:
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Durch Trümmer drang ich in des Traums Bethörung, pgo_224.010
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Ringsum zu Bergen thürmte sich Zerstörung.
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Gesunken, wie die Blume fällt vom Stiele.
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Jnschriften dran, verlöscht, mühvoller Lesung, pgo_224.017
Die halbes Wort verscholl'ner That mir sagten.
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Sallet.
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Die Terzine ist eine vorzugsweise epische Form, indem sie sich pgo_224.020
gleichsam ohne bestimmten Damm in die Weltweite ergießt. Auch pgo_224.021
eignet sie sich für Reflexionen, für weit ausgesponnene Gedanken, die pgo_224.022
ohne scharfe Einschnitte dem freien Zuge der Jdeeenassociation folgen. pgo_224.023
Dante hat bekanntlich seine divina commedia in Terzinen geschrieben, pgo_224.024
und in der That passen sie zur Darstellung einer Wanderung durch die pgo_224.025
drei Reiche der Ewigkeit, indem sie sowohl in den drei zusammentönenden pgo_224.026
Reimen für ein schilderndes und grübelndes Verweilen einen Halt pgo_224.027
geben, als auch, da jede Strophe durch den fehlenden Reim unfertig pgo_224.028
über sich hinausweist, die immer weiter eilende Wanderschaft treffend pgo_224.029
charakterisiren. Einen „Ahasver“ muß man in Terzinen schreiben. pgo_224.030
Für größere epische Gedichte eignen sie sich im Deutschen nicht, ihres pgo_224.031
allzu üppigen Reimes und schleppenden Ganges wegen. Rückert hat pgo_224.032
ein mehr reflektirendes, als episches Gedicht in diesen Versen geschrieben. pgo_224.033
Außerdem haben Platen, Herwegh und Sallet einige wohltönende pgo_224.034
Terzinen verfaßt.
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Der Raum unsers Werkes erlaubt uns nicht, auf andere italienische pgo_224.036
Strophenformen, die Ritornelle, in denen zwei gereimte Jamben
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